: Die Deutschen haben Angst
Neue Studie: Deutsche sorgen sich zunehmend um Preisentwicklung und Job
BERLIN taz ■ Noch nie war Otto Normaldeutscher so ängstlich wie 2005. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die R+V Versicherung gestern vorgestellt hat. Besondere Sorgen bereitet den Bundesbürgern die derzeitige Wirtschaftslage. Die Angst vor Straftaten und Terrorismus spielt hingegen kaum eine Rolle.
Mehr als die Hälfte der Bundesbürger hat generell „große Angst“ – doppelt so viele wie vor 15 Jahren, als die Befragung zum ersten Mal durchgeführt wurde. Besonders von Ängsten geplagt sind die Bewohner der ostdeutschen Bundesländer.
„Die Parteien wären gut beraten, wenn Sie diese Studie ernst nehmen würden“, sagte Professor Manfred Schmidt, Politologe an der Universität Heidelberg. Ängstliche Menschen, die ein schlechtes Bild von der Politik haben, bewirken keinen wirtschaftlichen Aufschwung.“
Seit Jahren rangiert der Anstieg der Lebenshaltungskosten an vorderster Stelle der Angst-Skala, dicht gefolgt von der Verschlechterung der Wirtschaftslage und der Arbeitslosigkeit. Rational zu begründen ist die Angst vor der Inflation (72 Prozent) allerdings kaum, ist doch der Anstieg der Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren nur gering ausgefallen. „Es handelt sich hier um eine ‚gefühlte Inflation‘, die nur bedingt mit den konkreten Zahlen übereinstimmt“, erklärte Rita Jakli, Leiterin des R+V-Infocenters. „Seit der Einführung des Euros 2002 sind die Güter des kurzfristigen, täglichen Bedarfs teurer geworden. In anderen Bereichen wie zum Beispiel der Elektronik sind die Preise aber rapide gesunken.“ Allerdings spüren die Verbraucher steigende Kosten für Lebensmittel im Alltag wesentlich stärker als sinkende Preise für den neuen Computer oder die Waschmaschine.
Besonders verstärkt haben sich im Vergleich zum Vorjahr persönliche Ängste. Die Furcht davor, den Arbeitsplatz zu verlieren oder schwer zu erkranken, stieg im Vergleich zu 2004 um 12 Prozent auf 65 beziehungsweise 64 Prozent an. Außerdem sorgten sich mehr als 60 Prozent der rund 2.400 Befragten, dass sie im Alter zum Pflegefall werden könnten. Diese Entwicklung trage vor allem der veränderten demografischen Struktur in Deutschland Rechnung, erläuterte Jakli.
Aber bieten schlechte Wirtschaftslage und alternde Gesellschaft wirklich Anlass zu so viel Sorge? „Die Menschen haben in Deutschland traditionell ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis“, sagte Manfred Schmidt. Damit sich aber ein Problem zu einem generellen Angstgefühl auswachse, müssten mehrere Faktoren zusammenkommen. „Nur wenn ein reales Problem täglich in den Medien erörtert wird und die Menschen auch persönlich betroffen sind, kriegen sie wirklich Angst.“
Dies mag auch erklären, warum die Angst vor Terrorattacken trotz der Anschläge von London im Juli im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist. Obwohl durchaus eine gewisse Bedrohung besteht, fehlt in Deutschland für die meisten Menschen der konkrete persönliche Bezug.
Konkret ist für die meisten Befragten die Frage nach der sozialen Sicherheit. Seit Norbert Blüms Ausspruch von den „sicheren Renten“ hat sich die Rolle der Sozialpolitik grundlegend gewandelt. „Einerseits soll sie immer noch der Sicherheit der Bürger dienen, andererseits sind die Sozialsysteme so reformbedürftig, dass sie schon wieder zu einer Quelle der Verunsicherung werden“, meint Schmidt.
Gegen Terroranschläge und eine schlechte Wirtschaftslage können sich ängstliche Deutsche zwar noch nicht versichern. Gegen sinkende Renten lässt sich aber durchaus was tun – also muss sich zumindest die R+V Versicherung als Urheber der Studie keine allzu großen großen Sorgen um ihre Zukunft machen. SARAH MERSCH