Kirchhof soll an Verlusten schuld sein

Keine Mehrheit mehr für Schwarz-Gelb laut Umfragen: In der Union wächst die Nervosität – und der Ärger über den eigenen Finanzexperten. „Jetzt gilt es, die Nerven zu behalten“, sagt Unionsfraktionsvize Bosbach. Warnung vor Rot-Rot-Grün

VON KLAUS JANSEN
UND LUKAS WALLRAFF

„Umfragen sind keine Wahlen“ – damit hatten sich monatelang nur SPD und Grüne zu trösten versucht. Seit einigen Tagen hört man den Spruch aus der Union. Kein Wunder: Jüngsten Umfragen zufolge gibt es keine Mehrheit mehr für Angela Merkels Wunsch-Koalition mit der FDP.

Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap ermittelte gestern nur noch 41 Prozent für die Union, zwei Punkte weniger als in der Vorwoche. Die SPD dagegen gewann zwei Punkte hinzu und liegt jetzt bei 34 Prozent.

Die Grünen blieben bei 7 Prozent. Die FDP verbesserte sich geringfügig auf 6,5 Prozent. Die Linkspartei verlor einen halben Punkt auf nunmehr 8,5 Prozent.

Polit-Manager Michael Spreng, der vor drei Jahren den Wahlkampf von Edmund Stoiber leitete, sieht in den Umfragen zwar lediglich einen „Blitzlichteffekt“ nach dem Fernsehduell zwischen Merkel und Gerhard Schröder. Er kritisiert jedoch auch Fehler der Union – vor allem im Umgang mit Merkels Steuerexperten Paul Kirchhof. „Intern ist viel zu viel über Kirchhofs Konzepte diskutiert worden“, sagte Spreng der taz. „Die CDU hat geradezu darum gebettelt, in der Personalie von der SPD angegriffen zu werden.“

Was Schröder genüsslich tut: Ob Totalprivatisierung bei der Rente oder gleich hohe Kopfsteuer für alle – bei jeder Gelegenheit zitiert der Kanzler die weitreichenden Ideen des „Professors aus Heidelberg“. Und Merkel? Einerseits bremst sie Kirchhof, andererseits stellt sie ihn auf eine Stufe mit Ludwig Erhard.

Die anhaltenden Diskussionen um Kirchhofs radikale Vorstellungen machen auch Wolfgang Bosbach Sorgen. Es sei „im Wahlkampf schwieriger geworden“, sagte der Unions-Fraktionsvize gestern der taz, „weil die Leute fragen: Was gilt denn jetzt – das, was Kirchhof sagt oder das CDU-Programm?“ Dies sei „das Hauptthema“ und „der rote Faden bei allen Veranstaltungen“. Er könne dann nur „wie eine tibetanische Gebetsmühle wiederholen: das Wahlprogramm gilt“.

Trotz der steigenden Zahlen der SPD sieht Bosbach „keinen Grund für einen Strategiewechsel“. Die CDU müsse bei ihrem Programm bleiben und dürfe „nicht wie die SPD den Menschen vormachen, es seien gar keine Anstrengungen nötig“. Das räche sich nach der Wahl. „Jetzt gilt es, die Nerven zu behalten.“

Ein anderer Unionspolitiker ärgert sich: Eigentlich habe man ein „ehrliches Wahlprogramm“ anbieten wollen. In diesem Rahmen sei es auch möglich gewesen, unpopuläre Einzelmaßnahmen wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder den Wegfall der Pendlerpauschale zu erklären. Durch Kirchhofs Radikalkonzepte sei jedoch „der Eindruck entstanden, als sei das alles nur die Spitze eines Eisbergs“.

CDU-Generalsekretär Volker Kauder bemühte sich derweil, einen ganz anderen Eindruck zu erwecken. „Schröder strebt rot-rot-grünes Bündnis an“, behauptete er gestern, nachdem der Kanzler als sein neues Wahlziel 38 Prozent genannt hatte.