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Archiv-Artikel

Die vergessenen Gelehrten

BILDUNG Im 17. und 18. Jahrhundert war Bremen eine internationale Studentenstadt mit allem, was dazu gehört: saufen, raufen, publizieren. Als „exzellent“ galt Bremen auch damals – und das europaweit

Bis heute hat Bremen den Westfälischen Frieden nicht ratifiziert. Die formale Fortdauer des 30-jährigen Krieges aus Bremer Sicht ist ein staatsrechtlicher Skandal – über den informiert ist, wer Thomas Elsmanns Neuerscheinung „Im Schatten des Kaufmanns“ liest. Dessen eigentliches Thema ist allerdings die weitestgehend vergessene Gelehrtengeschichte der Stadt.

Dabei war Bremen bereits im 17. und 18. Jahrhundert „exzellent“: Hotspot war das 1610 gegründete Gymnasium illustre, eine universitätsähnliche Akademie – der, weil reformiert, durch das lutherische Athenaeum Konkurrenz erwuchs. Wo sich heute das Shopping-Publikum der Katharinenpassage tummelt, immatrikulierten sich Amsterdamer, Stockholmer und Prager für Theologie, Jura, Medizin oder Mathematik. Die einheimischen Studenten bildeten eine manchmal fast marginale Minderheit.

Das mag mit erklären, warum Bremens Wissenschaftsgeschichte so wenig präsent ist. Diese Missachtung ist bis zu Herbert Schwarzwälder zu verfolgen, der sich sehr einseitig auf Politik und Wirtschaft fokussierte. Während das akademische Leben der Stadt außerhalb gerühmt wurde, etwa in Merians Stadtporträts, war die Innensicht schon damals divergent. „Der Rat sah in den Studenten eine latente Gefahr“, schreibt Elsmann, was er mit zahlreichen gegen sie erlassenen Verordnungen belegt. Doch auch die Professoren sahen sich nicht immer gewürdigt, viele fanden ihre Erfüllung letztlich andernorts: Etwa der Geologe Heinrich Oldenburg, der es in London zum Gründungs-Sekretär der Royal Society brachte.

Elsmann porträtiert beispielhaft elf Gelehrte aus einer Spanne von 250 Jahren, von denen einzig der Astronom Olbers heute noch allgemein bekannt ist. Wann kam das Ende der Bremer Gelehrten-Herrlichkeit? 1810 immatrikulierten sich die letzten Studenten. Uni-Gründungen wie Kiel und Göttingen (1737) hatten das Gymnasium überrundet, dessen reformierte Ausrichtung an überregionaler Attraktivität einbüßte. Zudem verlor in Bremer Kaufmannsfamilien der humanistische Bildungskanon weiter an Bedeutung. Der Lehrkörper wiederum wehrte sich gegen ein auf merkantile Nützlichkeit angelegtes Curriculum.

Und das von einer Minderheit betriebene Projekt einer modernen Uni-Gründung nach französischem Vorbild? Scheiterte an Napoleons Niederlage: Bremens Besatzungs-Zeit war zu kurz, die Wissenschaft verlagerte sich dann in private Vereine.

Der Schünemann-Verlag knüpft mit Elsmanns auch graphisch gut gemachtem Werk an eine eigene verschüttete Tradition an: An sein 1818 erschienenes Bremer „Gelehrtenlexikon“ von Heinrich Rotermund. Auch dieses stand bereits im „Schatten des Kaufmanns“. Henning Bleyl