: Ohne Moos nichts los
TROST Gunter Gabriel sang auf dem Winterfeldtplatz für Obdachlose. Er wirkte wie ein freundliches Relikt
Die schöne Hälfte des Herbstes ist vorbei, der Himmel drückt wie eine Platte Waschbeton. Wie bestellt wirkt sie, diese Stimmung, für ein Benefizkonzert von Gunter Gabriel auf dem Schöneberger Winterfeldtplatz. Gabriel ist hier, um im Rahmen eines Straßenfests des Internationalen Bunds (IB) für Wohnungslose zu singen. Das passt ganz gut, denn seit Jahrzehnten schreibt Gabriel authentische Songs für und über den kleinen Mann. Und Gabriel weiß, wovon er singt, ging er doch selbst bankrott und war viele Jahre wohnungslos – eine Erfahrung, von der er ehrlich spricht. Er ist ein „Sohn aus dem Volk“, ein deutscher Johnny Cash, mit dem er auch befreundet war und den er regelmäßig im Renaissance Theater darstellt.
An diesem grauen Tag jedenfalls steht Gabriel vor knapp hundert Menschen – ein wenig zerknautscht sieht er aus, aber eigentlich auch noch ganz drahtig für seine 70 Jahre. Er singt seine größten Songs, den „Fernfahrersong“ zum Beispiel, in dem sich „Mann“ auf „Autobahn“ reimt – oder auch „Komm unter meine Decke“, in dem der große Nutzwert einer einfachen Steppdecke für 22,50 Euro angepriesen wird, wie er vorab flachst.
Die Menschen, die Gunter Gabriel zuhören, liegen ihm ganz zu Füßen. Nein, er ist beileibe nicht der größte Songschreiber, den die deutsche Schlagerhistorie hervorgebracht hat, aber vielleicht der einzige, der eine echte Marke ist. Oder, in seinen Worten: Howard Carpendale und Roland Kaiser hatten vielleicht nie Probleme mit Achselgeruch – andererseits erreichten sie auch immer nur Krankenschwestern und Schuhverkäuferinnen.
Ja, Gunter Gabriel ist ein Relikt. Aber könnte man in Zeiten wie diesen nicht mal darüber nachdenken, ob Typen wie er nicht das bessere, das sympathischere Trostmodell liefern? Man denke nur an Bands wie Unheilig und deren Sänger „Der Graf“ – eine Kunstfigur, zu der Familien in Klamotten von Kik und Vorstadtjugendliche mit Miroslav-Klose-Frisur wie zum Erweckungsgottesdienst pilgern.
Es ist bezeichnend, welche Typen dagegen Gunter Gabriel lauschen: große Männer mit langen Locken, ganz geradem Rücken und einem Schlafsack zwischen den Füßen zum Beispiel. Einer trinkt gerade Rotwein aus einem Starbucks-Pappbecher. Da singt Gabriel: „Ohne Moos nichts los. Mir fällt gar nichts in den Schoß.“ Und der Mann mit dem Becher tupft sich mit einem zerknüllten Taschentuch eine Träne aus dem Augenwinkel.
SUSANNE MESSMER