: Neue Parteiführung für die kurdisch-linke HDP
Pervin Buldan und ihr Kollege Sezai Temelli sollen die Parteispitze mit dem erfolgreichen kurdischen Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş ersetzen. Doch beide stehen mit einem Bein im Gefängnis
Von Wolf Wittenfeld, Athen
Selahattin Demirtaş, der bislang erfolgreichste kurdische Parteiführer in der Türkei, ist erst einmal Geschichte. Beim Parteikongress der „Partei der Völker“ (HDP) am Sonntag kandidierte er nicht wieder für den Co-Vorsitz der Partei. Für ihn ließ sich der in der Öffentlichkeit weithin unbekannte türkische Linke Sezai Temelli als männliche Spitze der Partei aufstellen. Als weibliche Co-Vorsitzende ging die bekannte kurdische Abgeordnete Pervin Buldan ins Rennen. Die Abstimmung lief bei Redaktionsschluss noch, die Wahl der beiden galt aber als sicher.
Einige HDP-Mitgliedern wollten Demirtaş sogar gegen seinen Willen nominieren und erneut wählen, hatten auf dem Parteitag aber keine Chance. Per Brief aus dem Gefängnis begründete Demirtaş noch einmal seinen Verzicht. Er sitzt seit November 2016 in U-Haft, die Staatsanwaltschaft fordert 142 Jahre Gefängnis. In einem schriftlichen Interview sagte Demirtaş kürzlich, wenn er überhaupt wieder aus dem Gefängnis komme, dann nur, wenn die politische Situation in der Türkei sich grundlegend ändert.
Der dritte ordentliche Parteitag der HDP fand am Sonntag in Ankara angesichts des türkischen Einmarsches in das kurdisch dominierte Afrin in Nordsyrien unter extrem angespannten Bedingungen statt.
Im Vorfeld des Parteitags waren etliche HDP-Funktionäre verhaftet worden. Gegen die Interimsvorsitzende Serpil Kemalbay, die von einer „faschistischen Diktatur“ gesprochen hatte, erließ die Staatsanwaltschaft ebenfalls einen Haftbefehl. Viele Parteimitglieder, die in Bussen aus der ganzen Türkei anreisen wollten, wurden unterwegs aufgehalten.
Unter Bildern des historischen Kurdenführers Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf einer Gefängnisinsel im Marmara-Meer inhaftiert ist, mobilisierten die Delegierten und Gäste drinnen für den Widerstand in Afrin, während draußen die Polizei die Halle abriegelte. Einen Tag, nachdem die türkische Armee in Afrin mit 11 getöteten Soldaten den höchsten Tagesverlust erlitt, war es fast schon ein Wunder, dass der Parteitag überhaupt stattfinden konnte.
Für die beiden möglichen neuen Parteivorsitzenden Buldan und Temelli wird es eine schwere Zeit werden. Auf der einen Seite sollen sie Demirtas und die ebenfalls inhaftierte ehemalige Vorsitzende Figen Yüksekdağ ersetzen. Auf der anderen Seite stehen beide mit einem Bein im Gefängnis. Pervin Buldan, die aktuell Vize-Präsidentin des Parlaments, ist seit Jahren eine bekannte kurdische Politikerin. Sie wurde erstmals 2007 als Unabhängige ins Parlament gewählt. Ihr ehemaliger Mann Savaş Buldan wurde 1994 von türkischen Nationalisten als angeblicher Finanzier der PKK ermordet.
Der Wirtschaftswissenschaftler Sezai Temelli kommt dagegen aus der türkischen Linken und ist unter den kurdischen Parteimitgliedern weitgehend unbekannt. Er wurde 2015 zunächst ins Parlament gewählt, verlor seinen Sitz bei den Neuwahlen im November 2015 aber wieder. Bekannte halten ihn für einen guten Organisator, der die Partei jetzt stabilisieren soll. Seine Wahl ist auch ein Signal an die türkische Linke, dass die HDP an dem Anspruch festhält, eine gesamttürkische Partei sein zu wollen und nicht nur für kurdische Interessen einzutreten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen