: Nicht nur Strichmännchen malen
Als letztes Bundesland führt jetzt auch Hamburg Bildungsempfehlungen für Kitas ein. Sozialbehörde: „Erzieherinnen sollen darum ringen, dass sich die Kinder mit Dingen beschäftigen“
von Kaija Kutter
„Guter Ansatz – trotz Schnieber-Jastram“, kommentierte die SPD-Abgeordnete Andrea Hilgers die Vorstellung der Bildungsempfehlungen für Hamburgs Kitas. Die CDU-Sozialsenatorin habe nur vom Skript gelesen und Fragen zum Konzept „nicht beantwortet“, weshalb der Verdacht nahe liege, dass sie „von der Arbeit in Kitas schlicht keine Ahnung hat“.
Nun muss eine Behördenchefin ja nicht in jedem Fachgebiet firm sein. Vielleicht reicht es, wenn, wie hier, der ihr untergeordnete Kita-Abteilungsleiter Anselm Sprandel Empathie zeigt. Auf die Frage, wie sich denn die Bildungsempfehlungen auf den Alltag auswirken, erklärte er den JournalistInnen: „Sie sollten wesentlich häufiger erleben, dass Ihr Kind von der Kitas angeregt erzählt.“ Dass es „nicht zum 100. Mal Strichmännchen malt, sondern zum Beispiel den Museumspädagogischen Dienst besucht hat“.
Etwas unübersichtliche 903 Spiegelstriche umfassen die Empfehlungen, die die rund 7.000 Kita-Erzieherinnen in Hamburg nun beachten sollen. Dazu zählen die gezielte Beobachtung von Kindern und die gezielte Anregung zu Projekten und kreativem Spiel. „Die Erzieherinnen sollen darum ringen, dass sich die Kinder mit Dingen beschäftigen“, sagt Sprandel. Zum Kinder-Curriculum gehören sieben Bildungsfelder, darunter Sprache, Musik, Kunst, kulturelle Fragen und die Beschäftigung mit Schrift. Auch erste mathematische und naturwissenschaftliche Grunderfahrungen sollen die Kinder mitnehmen, sich ihrer Körper bewusst sein und viel bewegen. Die Empfehlungen enthalten zu jedem Feld Spielanregungen und Ziele. So soll ein Kind zum Beispiel ein „positives Verhältnis zur eigenen kindlichen Sexualität haben“ oder beim Essen „auswählen“ und „ablehnen, was nicht schmeckt“. In der Mathematik sollen Kinder „Vorläuferkompetenzen“ und ein Gefühl für Größen entwickeln. „Damit ist nicht gemeint“, so Sprandel, „dass sie schon rechnen können.“
Die erwartete Kritik nahm der Beamte gleich vorweg. Die Personalausstattung würde reichen. „Die Kita-Träger haben gesagt, sie können es. Das ist Bestandteil unseres Landesrahmenvertrages.“ Auch hätten die Verbände einen „hohen Ehrgeiz, gute Arbeit zu machen“.
Fragt sich nun, wer das kontrolliert. Die Behörde setzt hier neben einer noch nicht näher konkretisierten „Evaluation“ auf die Eltern. Der Leitfaden ist bereits jetzt im Internet unter www.kita.hamburg.de einsehbar und soll noch im Oktober als ansprechende Broschüre herausgegeben werden. Eltern sollten die Einhaltung „einforden“, sagt Sprandel. In der Broschüre werde auch eine Nummer angegeben sein, an die sich die Erziehungsberechtigten wenden können. Wenn beispielsweise „die Kinder immer nur draußen spielen und nie was anderes machen“, so Sprandel, wäre das eine Meldung wert. Wenn dann Gespräche mit dem Träger nicht hülfen, werde man der Kita „im Extremfall“ die Erlaubnis entziehen.
In der Kita-Szene gibt es Skepsis. Der Landeselternausschuss (LEA) zum Beispiel will die Umsetzung „auf jeden Fall kritisch begleiten“ und nachrechnen, wie viele „Erzieher-Minuten“ nach Abzug „aller anderen Tätigkeiten“ für Bildung übrig bleiben. Eine Wandsbeker Kita-Leiterin, die seit Mai mehr Kinder mit weniger Personal betreuen muss, hatte nur einen trockenen Kommentar übrig: „Glauben Sie wirklich, dass mich das interessiert?“