piwik no script img

Jan-Paul Koopmann Popmusik und EigensinnWir waren Geschichte

Für meine Liederjan-Platte kann ich nichts. Meine Eltern haben sie mir auf einem Konzert gekauft, da war ich eins. Es steht auch eine Widmung drauf. Wenn mir später mal was nicht passt, heißt es da, dann soll ich „das Maul aufreißen“. Und das ist in einem Satz, was diese Volksliedersingerei einmal ausgemacht hat: grob sprechen, es süß meinen (er hat das immerhin einem Baby auf die erste Schallplatte geschrieben!) und dann so anrührend was versprechen: Wehr dich, mach was – es wird schon alles gut werden.

Damit sind Volkslieder tatsächlich mal sowas wie Pop geworden. Sogar einer, der sich links und progressiv verordnet und in der Bewegung eine Rolle gespielt hat. So mit deutschen Arbeiter- und Bauernliedern – und denen ihrer romantischen Bewunderer wie Hannes Wader oder eben Liederjan. „Arg muss sich der Bauer quälen“ und besser noch: „Deutschland wir weben dein Leichentuch“.

Das war irgendwann auch wieder vorbei, aber später als man denkt. Beim Castor, vor dem Zwischenlager, haben in diesem Jahrtausend noch Die Schnitter gespielt – so maßvoll angepunkte Liederjans. Da standen am Rand auch gar nicht wenige Autonome zum Mitwippen. Zu Hause in der Roten Flora und so weiter hat man da längst zum Soundsystem gestampft und hätte die Zupfgeiger*innen dezent vor die Tür gesetzt.

Aber so ist das mit Bewegungsfolklore: Im Eifer des Gefechts kommt alles wieder hoch. Das heißt nun nicht, dass Freitag der Schwarze Block aus dem Bürgerhaus Weserterrassen marschieren wird. Aber drinnen, wo Liederjan wahrscheinlich immer noch „das Maul aufreißen“, da wird die Revolte doch mindestens in den Herzen bewegt werden. Und gemeint ist nicht der Bauernaufstand von anno dazumal, sondern der aus BRD-Zeiten: wo noch klar war, dass wir entweder jetzt gewinnen, oder morgen die Welt untergeht.

Es sei allen gegönnt, die da noch Nerven für haben. Und es kann auch heilsam sein. Meine Platte zum Beispiel läuft auch noch hin und wieder und erinnert schwülstig-nostalgisch daran, wie sicher man sich mal war. Und wie es war, Seite an Seite mit Thomas Müntzer und diversen Bauern gegen den Castor und für die freie Welt zu kämpfen.

Liederjan: Fr, 9. 2., 19.30 Uhr, Bürgerhaus Weserterrassen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen