Aus der Krise eine Chance machen

Sie sind schwanger und fast selber noch Kinder: In der „Casa Luna“ in Bremen finden minderjährige Mütter Hilfe. Mit Unterstützung von Betreuerinnen bewältigen sie die Doppelbelastung von Mutterschaft und Ausbildung

Sie sind jung, vielleicht gerade einmal dreizehn Jahre alt. Sie kommen aus sogenannten Problemfamilien, haben unter Vernachlässigung oder Missbrauch gelitten, haben auf der Straße gelebt. Und plötzlich stellen sie fest, dass sie schwanger sind.

„Das ist ein Schock. Die können sich gar nicht vorstellen, was das für eine Verantwortung das ist.“ sagt Anneke Garst. „Aber wer kann das schon.“ Die Holländerin arbeitet seit über zehn Jahren in der Casa Luna in Bremen, einer Einrichtung, in der schwangere Mädchen und junge Mütter wohnen.

„Oft ist es schon zu spät für einen Abbruch. Die Mädchen befinden sich in einer Phase, in der ihr Körper sich ohnehin verändert, das Umfeld merkt nichts. Die Schwangeren schweigen aus Angst und Unsicherheit teilweise bis kurz vor der Geburt. Oft wollen sie gar nicht abtreiben. Endlich haben sie etwas eigenes, jemanden, der sie nicht verlassen kann, eine Beziehung, die sie selber gestalten. Sie wünschen sich die gesellschaftliche Aufwertung als Mütter. Und sie müssen nicht mehr zur Schule gehen, denken sie. Sie träumen von einer Zukunft mit dem Vater des Kindes, einer richtigen Familie.

Die Realität sieht anders aus. In 90 Prozent der Fälle muss das Jugendamt auf Anerkennung der Vaterschaft klagen, kaum einer der oft ebenfalls minderjährigen Väter kümmert sich um das Kind. Die Familie des schwangeren Teenagers zieht sich spätestens jetzt oft zurück. Die Mütter der Mädchen befürchten, ein weiteres Kind versorgen zu müssen und fühlen sich überfordert. So kommen die Mädchen über das Jugendamt schließlich zur Casa Luna. Hier gibt es Platz für sieben minderjährige Mütter mit ihren Kindern.

„Im Vordergrund steht natürlich immer das Kind“ betont Anneke Garst. Die Mütter seien oft heillos überfordert. Eigentlich brauchen sie selber Zuwendung, sie brauchen Raum, sich auszuprobieren. Mit einem Kind ist das vorbei. Das Kind fordert ständige Aufmerksamkeit und eine feste Struktur. „Aber wir versuchen, auch immer auf die Bedürfnisse der jungen Frauen einzugehen.“ Die Mitarbeiterinnen der Casa Luna wollen den jungen Müttern noch einen Rest Jugend ermöglichen, ein paar Freiheiten. Die Gratwanderung zwischen den Bedürfnissen der Kinder und den Bedürfnissen der Mütter, die selber noch Kinder sind, müssen die Betreuerinnen täglich meistern.

Die Mädchen wohnen zwei bis drei Jahre in der Casa Luna – zuerst in einem Zimmer mit dem Kind, dann in einem größeren Apartment, schließlich in einem Haus in der Nachbarschaft. Sie sollen eine stabile Beziehung zu ihrem Kind entwickeln. Wenn das Kind einfach nicht aufhört zu schreien und die Mütter an ihre Grenzen stoßen dürfen sie es auch mal bei den Betreuerinnen abgeben. „Aber das darf nicht die Regel sein, sie müssen lernen, dass sie das selber schaffen“, so Garst. Wenn eine Mutter ihr Kind ständig abgibt oder nicht zuverlässig ist wird überlegt, ob das Kind in einer Pflegefamilie nicht besser aufgehoben ist – zusammen mit der Mutter. Letztlich liegt die Verantwortung beim Jugendamt. „Wir entscheiden nicht, ob Mutter und Kind getrennt werden. Bei minderjährigen Müttern hat das Jugendamt die Vormundschaft für das Kind. Die bestimmen, wo es hinkommt.“ sagt Anneke Garst. Sie ist froh, dass sie diese Verantwortung nicht hat.

Ein Jahr nach der Geburt beginnt für die jungen Mütter wieder die Schulpflicht. Eine weitere Herausforderung: Früh aufstehen, das Kind versorgen und zur Betreuung bringen, dann in die Schule. Die Klassenkameradinnen reden über die Disco und den neuen Schwarm, die jungen Mütter leben zwischen Fläschchen und Windeln. Doch das Konzept von Casa Luna geht auf, wie der Erfolg zeigt: Die meisten Kinder bleiben bei ihren Müttern. Und die Mütter schaffen es tatsächlich, „nebenbei“ noch einen Schulabschluss zu machen. „Neulich hat uns eine ehemalige Bewohnerin angerufen und erzählt, dass sie jetzt sogar einen Studienplatz hat“, erzählt Garst. „Die Mädchen finden ihren Weg. Sie haben einen starken Willen, und das Kind kann die Triebfeder sein für den Entschluss, das Leben in den Griff zu bekommen.“ Über die Betreuung in der „Casa Luna“ haben die jungen Mütter eine Perpektive erhalten – und es ist eine Familie entstanden. Achim Eidenberg