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Linksgrüne in der Defensive

Realos dominieren seit Jahren die Grünen – nun auch die Parteispitze. Was heißt das für linke Grüne?

Der Job der Parteichefin war bei den Linken nicht begehrt. Drei junge Frauen winkten ab

Aus Berlin Ulrich Schulte

Keine Szene versinnbildlicht das Dilemma des linken Grünen-Flügels so gut wie die Rede von Anja Piel. Als sich die Kandidatin der Linksgrünen auf dem Parteitag in Hannover um den Vorsitz bewirbt, bricht ihr die Stimme weg. Piel krächzt, haucht, nimmt einen großen Schluck Wasser. Es wird nicht besser. Am Ende bekommt sie magere 34,8 Prozent.

Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen jetzt zwei Realos an der Parteispitze. Das ist neu – traditionell gilt bei den Grünen die Flügel­arithmetik: Realos und Linke teilen sich die Macht. Rücken die Grünen jetzt vollends in die bürgerliche Mitte? Jürgen Trittin, ein Wortführer der Linken, glaubt nicht daran – und verweist auf die Situation im Jahr 2000. „Wir hatten mit Kuhn und Künast schon einmal zwei Realo-Vorsitzende, doch die linke Programmatik zieht sich durch bei den Grünen, sie hat uns Kontinuität und Stärke gegeben.“ Doch solche Aussagen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Linksgrünen in der Defensive sind.

Piels Kandidatur, das räumen linke Grüne hinter vorgehaltener Hand ein, war von Anfang an verstolpert. Sie lancierte ihre Bewerbung viel zu spät, um strategisch für sich werben zu können. Der Grund: Sie nahm Rücksicht auf die ebenfalls linke Ex-Chefin Simone Peter, die zunächst mit dem Gedanken gespielt hatte, noch einmal anzutreten.

Der Job war bei den Linken wenig begehrt. Drei junge Frauen aus der Fraktion – Agnieszka Brugger, Katja Dörner und Katharina Dröge – hatten zuvor abgewinkt. „Der Parteivorsitz passte nicht in ihre persönliche Lebensplanung“, heißt es bei den Parteilinken. Diese Frauen, heißt es aber auch bedauernd, hätten die ebenfalls junge und eloquente Reala Baerbock besser kontern können als die ruhige, 52 Jahre alte Piel.

Piels Kandidatur auf den letzten Drücker war also keine abgestimmte Aktion. Der Flügel schaffte es schlicht nicht, eine konkurrenzfähige Kandidatin aufzustellen. „Unsere strategische Planung funktioniert – vorsichtig formuliert – mittelprächtig“, gibt ein Linksgrüner zu. Schließlich galt auch Simone Peter, die sich am Freitag aus dem Amt der Parteichefin verabschiedete, als Fehlbesetzung. Neben dem Realo Cem Özdemir konnte die Linksgrüne kaum Akzente setzen.

Natürlich sitzen im Bundesvorstand auch weiter Linke. Aber nur in der zweiten Reihe. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner gehört dazu, Gesine Agena und Jamila Schäfer. Beide Frauen dürfen sich seit Neuestem stellvertretende Vorsitzende nennen. Vor den Fernsehkameras werden aber dennoch Habeck und Baerbock stehen.

Bei der Dominanz der Realos fällt ein Widerspruch auf. Im Parteiprogramm der Grünen finden sich nach wie vor viele linke Ideen. Auf Parteitagen konnten sich linke Grüne oft durchsetzen. Im November 2016 stimmten die Delegierten für eine Vermögensteuer und die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen. Aber Papier ist geduldig. Entscheidend ist, welche Ideen ins Schaufenster gestellt werden – und das entscheiden Personen.

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