Schräg schneidet das schmale Dach

Wie von zeichnerischer Fantasie erschaffen: Robert Wienes Stummfilmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ läuft heute im Arsenal

Von Peter Nau

Von einer dunklen Kraft angetrieben, wie sie mitunter echte Vorahnungen erzeugt – so stellten die Autoren des Stummfilmfilmklassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von 1920, Hans Janowitz und Carl Mayer, das Motiv des allmächtigen Hypnotiseurs in den Mittelpunkt. Der Schausteller Caligari, in Wirklichkeit Direktor einer Irrenanstalt, setzt sein Medium Cesare auf unliebsame Mitmenschen an und lässt sie von ihm töten. Hermann Warm, einer der Architekten des Films, war vom bizarren Stil des Drehbuchs begeistert und erkannte sogleich, dass die Ausstattung vom Realen abgewandt und ganz auf phantastische, rein malerische Wirkung gestellt sein müsse.

Schauplatz war ein imaginäres norddeutsches Städtchen mit schief ragenden Kaminen, durcheinandergewürfelten Dächern und Fenstern in der Form von Pfeilen oder Luftdrachen. Die gemalten und gezeichneten Buchstaben der Zwischentitel bildeten einen wesentlichen Bestandteil der Szenerie, in deren Strukturen auch die Darsteller und ihre Bewegungen eingegliedert waren, sodass sie ihrerseits wie von zeichnerischer Fantasie erschaffen schienen.

Schräg schneidet, einer Messerklinge vergleichbar, das schmale Dach, auf dem der Somnambule seine Beute entlangschleppt; über den Raum hinweg, schräg steigen die Höhenwege an, auf denen er den Verfolgern zu entrinnen sucht.

Auf einen Eingriff des Produzenten hin wurde der Irrenarzt, von dem aus für Siegfried Kracauer der Weg zu Hitler führte, rehabilitiert und das Ganze zur Halluzination eines seiner Patienten erklärt. Aber sobald der scheinbare, sich paternalistisch gebende Menschenfreund die wohlbekannte Brille mit den großen runden Gläsern aufsetzt, ist er doch wieder Caligari. Nunmehr jedoch betritt er, anders als auf dem Jahrmarkt, die Bühne als Ordnungsmacht, als Respektsperson. Er ist Chaos- und Ordnungsprinzip zugleich.

Robert Wiene: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) mit Werner Krauß, Conrad Veidt u. a., 29. Januar, 19 Uhr, Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2