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Archiv-Artikel

Der Norden hilft

AUS MINNEAPOLIS SUSANNE GIEFFERS

„Wenn Menschen nach Minnesota kommen, mögen sie es. Das wissen wir.“ Das sagte der Gouverneur von Minnesota, Tim Pawlenty, vor Tagen, als der Bundesstaat im mittleren Westen sich auf 3.000 Menschen aus den Flutgebieten im Süden vorbereitete. Doch dass die Flutopfer Minnesota gar nicht ausprobieren wollten, das hätte der Republikaner da wohl noch nicht geahnt: Die „Operation Northern Comfort“ fällt mangels Nachfrage aus, die Menschen aus dem Süden kommen nicht – das Land, das an Kanada grenzt, ist ihnen schlicht zu weit entfernt von zu Hause. „Die Leute sagen, sie wollen nicht so weit weg von ihrer Heimat“, erklärte ein Regierungssprecher in Saint Paul, als bekannt gegeben wurde, dass die erwarteten Flüge aus dem Süden ausfallen würden. Damit gerät eine gewaltige Welle der Hilfsbereitschaft an ihr vorläufiges Ende.

Im Norden ist die Flutkatastrophe auch Gesprächsstoff Nummer eins. In den örtlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen bleibt sie das Topthema. Im liberalen Minneapolis überrascht auch die harsche Kritik an der US-Regierung und ihrer lahmen Reaktion auf die Katastrophe nicht. „Wenn dieses Land irgendetwas können sollte, dann ist das doch, auf eine solche Katastrophe angemessen zu reagieren“, sagte eine Frau im Bus zu ihrer Nachbarin an Tagzwei nach der Flut. Worauf die antwortete: „Das kommt davon, wenn die Nationalgarde im Irak ist.“ Dies entspricht einer weit verbreiteten Stimmung in der Stadt und war Motto einer Antikriegsdemo vergangenes Wochenende.

Zunehmend werden in der Presse die Schreckensnachrichten aus den Südstaaten ergänzt mit kleinen und größeren Heldengeschichten von hier. Der Hubschrauberpilot aus Minnesota, der in Louisiana fünf Menschen aus den Fluten rettete, gehört ebenso dazu wie die Familie aus Minneapolis, die ihr Haus jetzt mit einem Paar aus New Orleans teilt, „weil wir das Gefühl hatten, wir müssen helfen, sofort“. Oder Menschen, die via Internet oder Anruf ihre Hilfsbereitschaft angeboten haben, bekommen das Prädikat „hungry to help“. In den Passagen in Downtown stehen zahlreiche Spendentische, an denen man Geld bequem per Kreditkarte spenden kann, fast jedes Geschäft verkauft Produkte für den guten Zweck, und in vielen Firmen kursieren Spendenaufrufe unter der Belegschaft, die regen Zuspruch finden. Die Amerikaner sind es gewohnt, im Kleinen zu helfen: Weil viele Menschen gar nicht oder nur unzureichend krankenversichert sind, gehören Geldspenden für dringende Operationen zum Alltag.

Thematisiert werden hier auch die offensichtlichen sozialen Unterschiede zwischen Nord und Süd in den USA, die durch die Flut so schmerzlich zu Tage traten. Wie das Lokalblatt Startribune letzte Woche zeigte, eint der Mississippi zwar Minneapolis und New Orleans, ansonsten überwiegt das Trennende. Während in der Stadt im Süden nur 26 Prozent der Bevölkerung weiß sind, sind es im Norden 61 Prozent. Im Süden liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen bei rund 30.000 Dollar, im Norden bei 44.000. Und der Anteil derer, die von weniger als 10.000 Dollar im Jahr leben müssen, liegt im Süden bei 21 Prozent, im Norden nur bei 11 Prozent.

Die Hilfsbereitschaft von Minnesota ist vielleicht nicht ganz umsonst: Rund 300 Flüchtlinge sollen vielleicht doch noch am nächsten Dienstag kommen. Sie werden viel Platz haben in Camp Ripley, einer Notunterkunft nördlich der Stadt, die in den vergangenen Tagen für bis zu 3.600 Menschen gerüstet wurde. Sogar Haustiere sollen hier versorgt werden: Man habe Kapazitäten für bis zu 1.500 Tiere, warben die Organisatoren des Camps, nur auf Alligatoren sei man nicht vorbereitet.

Dem logistischen Kraftakt, Camp Ripley für die Flutopfer zu rüsten, folgt nun eine ganz andere Herausforderung: Wohin mit all den Lebensmitteln, Decken, Kleidern und Wohnangeboten, wenn nur ein Zehntel der erwarteten Menschen eintrifft? „Wenn die Flüchtlinge nicht kommen, war das immerhin eine großartige Katastrophenübung“, meint eine Sprecherin des Roten Kreuzes. „Die Hilfsangebote waren so überwältigend“, sagt hingegen der Vertreter des Landkreises, in dem Camp Ripley liegt, „dass manche Leute nun enttäuscht sein werden, dass ihre Hilfe nicht gebraucht wird.“