: Ein durch und durch pragmatischer Jurist
FRITZ BAUER Eine Tagung zum Rechtsverständnis des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts
Das Frankfurter Fritz-Bauer-Institut veranstaltete zu Ehren seines Namensgebers, der im nächsten Jahr hundert Jahre alt geworden wäre, eine Tagung. Der streitbare Jurist ist leider zu wenig bekannt. Er schaffte den Eintrag in die 24-bändige Enzyklopädie von „Brockhaus“ nicht, dabei sind seine Verdienste um die Erneuerung der Justiz nach 1945 unbestritten.
Bauer stammte aus einer nichtreligiösen jüdischen Familie, wurde Richter und musste nach achtmonatiger KZ-Haft 1933 drei Jahre später ins Exil nach Dänemark, aus dem er 1948 zurückkam. Er wurde wieder Richter und 1950 Generalstaatsanwalt in Hessen, wo er maßgeblich daran beteiligt war, dass 1963 der große Frankfurter Auschwitz-Prozess eröffnet werden konnte. Am 1. Juli 1968 starb er an Herzversagen.
Die Tagungsregie machte den Fehler, den zu wenig bekannten Juristen Bauer ehren zu wollen, indem sie ihn überhöhte und dem Publikum mit dem berüchtigten „und“ in den Vortagsthemen suggerierte, Bauer hätte zu allem etwas zu sagen. Aber Bauer war kein Rechtstheoretiker, sondern ein pragmatischer, freilich sehr politisch denkender Jurist; und er war auch kein Gesellschaftstheoretiker. Zur Rechtsphilosophie hatte Bauer ein Nichtverhältnis wie zur Kritischen Theorie.
Ein solches Nichtverhältnis machte den Vortrag von Lena Foljanty (Frankfurt) über „Die Rechtstheorie Fritz Bauers“ zu einem aussichtslosen Unterfangen, denn Bauers Rechtsverständnis war nicht philosophisch oder theoretisch fundiert, sondern durch und durch pragmatisch und politisch. Mit den Prozessen gegen die nationalsozialistischen Verbrechen wollte er weder „Gerechtigkeit“ noch gar „Rache“ üben. Es ging ihm um die Aufklärung des Publikums über die verbrecherische Vergangenheit und um die Resozialisierung der Täter.
Katharina Rauschenberger (Frankfurt) verglich Fritz Bauer und Henry Ormond. Auch er stammte aus einer nichtreligiösen jüdischen Familie und wurde Jurist wie Bauer. Dieser verstand sich als politisch Verfolgter und nicht als Jude; Ormond bekannte sich zwar nach 1945 zur Solidarität mit Israel (und brachte auch Axel Springer dazu), war aber nicht Mitglied in einer jüdischen Gemeinde. Für Ormond bestand der Sinn der Prozesse gegen deutsche NS-Täter in exemplarischen Strafen unterhalb der Todesstrafe. Bauer dagegen verstand die Verfahren primär als politisch und pädagogisch im Dienste historischer Aufklärung.
Die Rolle von zwei ehemaligen KZ-Häftlingen beim Frankfurter Auschwitz-Prozess beleuchtete Katharina Stengel (Frankfurt). Sowohl H. G. Adler als auch Hermann Langbein misstrauten der deutschen Justiz und wollten nicht nur als Zeugen auftreten. Sie setzten sich allerdings mit ihrem Ziel nur einmal durch, nicht nur als Zeugen der KZ-Haft aufzutreten, sondern auch als durch eigene Erfahrung ausgewiesene Experten.
Die weithin unbekannte Geschichte des Außenseiters Joseph Wulf (1912–1974) entfaltete Klaus Kempter (Leipzig). Wulf stammte aus Galizien, war im KZ und lebte nach dem Krieg in Paris und Westberlin. Hier kämpfte er mit prominenten Unterstützern für ein „Internationales Dokumentationszentrum“. Die Fachwissenschaft marginalisierte jedoch Wulfs allzu naiven Objektivismus – er wollte nur Dokumente und Aussagen von überlebenden Zeitzeugen sammeln und hatte kein Interesse an einer methodisch fundierten, sozialgeschichtlichen Wissenschaft. Das Projekt eines Dokumentationszentrums wurde politisch auf die lange Bank geschoben, die produktive Seite seines Vorschlags vergessen.
Einen Eindruck von Bauers polemischem Temperament vermittelte der Vortrag von Ronen Steinke (München). Bauer brachte es fertig, den verbrecherischen Juristen Roland Freisler und das von der CDU geführte Justizministerium in einem Satz zu nennen. Bauer überzog, als er von einer dänischen Zeitung mit dem Satz zitiert wurde: „Ein neuer Hitler würde heute leichtes Spiel haben.“ Ein medialer Sturm brach über ihn herein und auch die SPD distanzierte sich. Steinke erklärte die harschen Reaktionen plausibel mit der Nervosität der Regierenden wegen des Eichmann-Prozesses in Jerusalem und des anstehenden Auschwitz-Prozesses in Frankfurt. Sie fürchtete einen Imageverlust durch Bauers Kritik, und Teile der Presse prügelten Bauer als national unzuverlässigen Emigranten und Juden. RUDOLF WALTHER