: Es gibt kein linkes Zurück
VON ANDREAS FANIZADEH
Neulich habe ich zufällig mit Ulf Poschardt in Berlin zu Abend gegessen. Der Maler Daniel Richter hatte uns – und etwa hundert andere Gäste – in die Paris Bar eingeladen. Poschardt war in den Neunzigerjahren Chefredakteur des SZ-Magazins gewesen. In seiner Ära wurden dort auch einige erfundene Interviews mit Prominenten gedruckt, was einen Skandal nach sich zog, der ihn den Job kostete. Poschardt wechselte als Berater zum Springer-Blatt Welt am Sonntag. Einige seiner Äußerungen an diesem Abend haben mich doch einigermaßen überrascht.
Man brauchte kein Aufnahmegerät mitlaufen zu lassen, wenn man Poschardt getreu wiedergeben will. Eine Zusammenfassung seiner nächtlichen Gedanken war dieser Tage in der Schweizer Weltwoche zu lesen: „Unsere Wachstumsschwäche hat Europa geschwächt, unser antiamerikanisches Ressentiment den Westen geteilt. Doch das Ende dieser Jahre des Missgefallens ist nahe – gesetzt den Fall, meine Landsleute wählen so, wie es die Umfragen voraussagen und die Vernunft gebietet: Schwarz-Gelb.“ Das veröffentlichte er dort in seiner Autokolumne. Offensichtlich war es wirklich nur der unappetitliche Rassismus von deutscher Vereinigung und Kohl-Ära, der Allianzen mit Leuten wie ihm einmal denkbar gemacht hatten.
Denn die gab es einmal. Im SZ-Magazin veröffentlichten in den Neunzigerjahren auch einige anpolitisierte und engagierte Nachwuchskräfte. Und die linke Vierteljahreszeitschrift Die Beute – Untertitel: „Politik und Verbrechen“ – druckte Ende der Neunziger umgekehrt einmal einen Vortrag von Poschardt. Der Magazinchef aus München kritisierte damals die Ästhetik einer Band wie Rammstein, die er für faschistisch hielt. Heute, nach sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung, Modernisierung von Ausländer- und völkischem Staatsbürgerrecht scheint der frühere Antifaschismus sehr weit weg. Einige aus der linksliberalen Lifestylefraktion haben neokonservativ eingecheckt. Und wenn sich Poschardt über ein angeblich von Rot-Grün geschürtes „antiamerikanisches Ressentiment“ beschwert, sagt er sehr direkt, was sich Angela Merkel und die CDU nicht trauen: Die Bundesrepublik Deutschland hätte an der Seite der USA Truppen in den Irak schicken sollen.
Die „Killing-Fields“ im Irak interessieren dort genauso wenig wie ein Hurrikan „Katrina“ oder die im Golf von Mexiko treibenden Ölplattformen. Im Lala-Land der Neokons steht das Land nie unter Wasser und die Reifen sind immer prall aufgepumpt. Poschardt sieht das so: „In dieser Generation kommt die praktische Vernunft zu sich. Auch bei der Wahl des Autos. Verkörpert wird dies sinnfällig von der neuen B-Klasse von Mercedes.“ Zwischen Kühlerhaube und Heckklappe ist ihm das Gehirn in die Brieftasche gefallen.
Das in den Neunzigerjahren mobilisierungsfähige Bündnis aus Pop, aktivistischer Subkultur und neomarxistischer Theorie existiert seit einigen Jahren nur noch als ein intellektuelles Netz. Man braucht die Entwicklung allerdings nicht anhand der Biografien einzelner Personen zu dramatisieren. Hoch dotierte Medienleute waren aus Perspektive der Subkultur bürgerliche Randfiguren. Einigen wenigen galten sie als Türöffner in den Mainstream-Journalismus. Dass sie nun bei „Angie“, den Rolling Stones oder der B-Klasse angekommen sind, ist ansonsten langweilig genug. Dass man gelegentlich an den gleichen Orten herumsteht, mag puritanistische Linke verstören, gehört aber zum unvermeidlichen Sponsoring demokratischer Öffentlichkeiten. Und man sollte keine Angst vor diesen haben und sich nach Möglichkeit nicht im autonomen Kämmerchen vergraben. Dort spielt sich einfach zu wenig ab.
Die Superlinke hat dies und linkskulturelle Diskursstrategien zumeist nicht verstanden und nach Kräften ignoriert. Zur Zeit haben in Deutschland auch wieder vorwiegend identitäre und darin autoritäre Modelle Konjunktur. Die männliche Arbeiterklassenrhetorik der WASG-Leute lässt kaum Verständnis für die antiautoritäre Poplinke oder die Hybridität gesellschaftlicher Minderheitenkämpfe erkennen. Es dominieren monokausale und ökonomistische Ableitungstheorien, in denen die Geschichte von Rot-Grün einzig als Verrat gehandelt wird. Dabei reibt man sich die Augen, wie schnell sich nun viele linke AktivistInnen der WASG-Partei zuwenden, Parlamentarismus und Etatismus, und ohne mit der Wimper zu zucken einen deutlichen Bruch mit den gerade noch geheiligten Prinzipien der Bewegungslinken vollziehen. Die außerparlamentarische Bewegung als Camouflage – mal schauen, wohin der Weg die Superradikalen noch führt.
Zwischen den Idealen einer bislang Grün wählenden Berliner Community in Friedrichshain-Kreuzberg oder einer Ostberliner PDS-Hochburg wie Hellersdorf-Marzahn liegen jedenfalls deutlich sichtbare Welten. Und andere als Gregor Gysi glauben machen möchte. Die jeweiligen konkreten städtischen Kulissen der Stammwählerschaft im Blick, kann man über Gysis Rede von den Grünen als „Mittelstandspartei“ nur müde lächeln.
Das Verdienst von den in der Linkspartei vereinten WASG-PDS könnte am 18. September vor allem darin liegen, frustrierte Nichtwähler und Gewerkschafter nach links zu ziehen und so die gelb-schwarze Republik doch noch zu verhindern. Für eine oppositionelle Politik im Zeitalter der Medientotalität ist dies eine beachtliche Leistung. Viel mehr ist es aber nicht. Die Selbstreflexion steht der von Ost nach West neu formierten Staatslinken erst noch bevor. Eine emanzipatorische Perspektive wird sie nicht allein aus der Kritik an Hartz IV, den USA und Vater-Staats-Phantasien gewinnen können.
Richtig dumm wird es, wenn die etatistische Linke auch über die Wahl hinaus die von der rot-grünen Konkurrenz bewirkte gesellschaftliche Aufklärung Deutschlands weiterhin pauschal negiert. Es gibt kein linkes Zurück zur regressiven inneren und äußeren Abschottungspolitik oder einer Staatlichkeit, wie sie vor 1989 existierte.