Allein in der Welt

LITERATUR Gleißende Hölle des Erwachsenwerdens: Die Vers- und Kaderschmiede bringt bis Samstag Roberto Bolaños trostlosen „Lumpenroman“ als szenische Lesung auf die Bühne

Plötzlich gibt es im Leben Biancas und ihres Bruders keine Nacht mehr, nur noch gleißendes Licht, einen „Dauerzustand von Sonne“, der alles überstrahlt. Bei einem schweren Autounfall sind die Eltern umgekommen, nun sind sie Waisen, „allein in dieser Welt“. Zunächst versuchen sie, ihr gewohntes Leben in Rom weiterzuführen, schließlich bleiben sie zu Hause, sitzen tagelang vor dem Fernseher, Bianca leiht wahllos Filme aus, „um die wenigen Dinge zu vergessen, die sie wusste“.

Der Bruder nimmt einen Job im Fitnessstudio an, bringt zwei „Freunde“ mit nach Hause, die sich einquartieren. Und Bianca schließlich zu einem ehemaligen Bodybuilder schicken. Nach dem Sex mit dem Blinden, immer in der Dunkelheit, soll sie auskundschaften, wo sich der Tresor befindet, den sie bei ihm vermuten. Bianca lässt all das mit sich geschehen, bald wähnt sich die Hure, die sie doch nie sein wollte, selbst als Liebende. Aber im gleißenden Licht, das den Blick des Geschwisterpaares seit dem „Zusammenstoß“ verändert hat, ist auch das Grauen nicht mehr deutlich zu erkennen. Alles verliert seinen Kontrast. Bis am Ende nach langer Zeit wieder eine „wirkliche Nacht“ einbricht. In der zwei müde Geschöpfe wach bleiben, um noch einmal das Morgengrauen zu sehen.

Eine trostlose, auf den Kopf gestellte Schöpfungsgeschichte ist Roberto Bolaños vor zwei Jahren auf Deutsch aus dem Nachlass erschienener „Lumpenroman“. Der letzte, den der Chilene noch zu Lebzeiten veröffentlichen konnte, bevor er 2003 an Leberversagen starb – sein literarisches Vermächtnis, der monumentale, aus fünf Büchern bestehende Roman „2666“ ist erst posthum erschienen. Ein Zitat Antonin Artauds hat Bolaño seinem Roman vorangestellt: „Alles Geschriebene ist Schweinerei.“ Und wer versucht, das Unbestimmte zu verlassen und zu präzisieren: ist ein Schwein.

Von Donnerstag bis Freitag bringt die Vers- und Kaderschmiede Bolaños teuflischen Roman als szenische Lesung in einer Bearbeitung Thomas Ebermanns mit Pheline Roggan, Matthias Scheuring und Robert Stadlober auf die Bühne.  MATT

■ Do, 25. 10. bis Sa, 27. 10., je 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45