: Weil ich ein Mädchen bin
Die Belgierin Kim Clijsters krönt eine formidable Saison mit dem US-Open-Sieg über die Französin Mary Pierce. Sie heimst Sympathien ein und überdies die Rekordsumme von 2,2 Millionen Dollar
AUS NEW YORK DORIS HENKEL
Böse Mädchen kommen überall hin? Nette Mädchen auch. Seit Jahren gewinnt Kim Clijsters aus Belgien sämtliche Sympathiewertungen, nicht nur bei ihren Kolleginnen. Mit ihrem sonnigen Gemüt ist sie überall ein Quell der Wärme. Ihre Natürlichkeit überzeugt. Sie erscheint nicht aufgetakelt wie Serena Williams mit 40.000 Dollar teuren Ohrringen auf den Tennisplatz, sie quiekt und stöhnt nicht wie Maria Scharapowa, sie legt sich nicht zwölf Minuten zur Behandlung flach auf den Boden oder richtet zehnmal in einem Satz den Zopf wie Mary Pierce. Das einzig Negative, das einem zu Clijsters einfiel, war, dass sie zu nett sein könnte, um gegen die mit allen (Duft)-Wassern gewaschene Konkurrenz einen großen Titel zu gewinnen. Doch damit ist es nun vorbei.
Und der Sieg gegen Pierce in keinem besonders guten Finale (6:3, 6:1) war eine klare Sache, erledigt in nur einer Stunde und fünf Minuten. Kein Vergleich mit den beinharten Begegnungen in den Runden vorher gegen Maria Scharapowa und Venus Williams. Nur kurz musste man sich an diesem Abend Sorgen um sie machen: als sie nach Matchball wie ein Fassadenkletterer übers Geländer auf der Tribüne zu Mutter, Schwester und Freunden balancierte. Aber wer im Spagat Bälle schlagen kann, für den ist so eine Klettertour ein Klacks.
Der erste Grand-Slam-Titel ihrer Karriere ist Kim Clijsters nicht nur deshalb lieb und teuer, weil sie in den Jahren zuvor vier Endspiele verloren hatte, eines gegen Jennifer Capriati und drei gegen die belgische Rivalin Justine Henin-Hardenne.
Vor genau einem Jahr hatte sie als moralische Unterstützung ihres Verlobten Lleyton Hewitt mit einer Schiene an der linken Hand auf der Tribüne des Arthur Ashe Stadions gesessen; zweifelnd, ob sie jemals wieder so spielen würde wie vor dem Eingriff am Handgelenk, bei dem im Sommer eine gerissene Sehne repariert und eine Zyste entfernt worden war.
Und das war ja nicht die einzige schmerzhafte Phase anno 2004. Im Herbst trennte sich das Paar Hewitt/Clijsters nach sechs Jahren. Bei den Australian Open 2005 präsentierte Hewitt seine neue Flamme, die Serien-Darstellerin Bec Cartwright, in der Nacht nach dem Finale machte er ihr einen Heiratsantrag, seit August sind die beiden verheiratet, und das erste Kind wird im Oktober erwartet.
Es fällt ihr sogar in diesem Fall nicht schwer, nett zu sein und dem Paar alles Gute zu wünschen. Seit einigen Monaten gibt es einen neuen Mann in ihrem Leben, den amerikanischen Basketballprofi Brian Lynch, der zurzeit für das Team ihrer belgischen Heimatstadt Bree spielt, als Globetrotter durch die europäischen Ligen auch in der deutschen Bundesliga in Gießen aktiv war. In ihrer Rede nach dem Sieg rief sie unverkrampft: „Ich grüße die wichtigsten Männer meines Lebens: meinen Vater und Brian, die mir zu Hause am Bildschirm zugesehen haben“.
Wichtigste Männer vermögen viel, aber nicht alles. Wie sehr sie dem Tennis verbunden ist, wie sehr sie die Herausforderung in jedem Spiel genießt, das ist Clijsters in den Monaten der Verletzungspause klar geworden. Sie sagt, sie habe deshalb alles, aber auch wirklich alles getan, um wieder fit zu werden, „all die verrückten Übungen, die damit angefangen haben, erst mal nur die Fingerspitzen zu bewegen“. Mit Erfolg. Nach der Pause ist sie noch athletischer als früher, und sie schlägt härter als je zuvor. Das Ergebnis: sieben Titel in diesem Jahr und mehr Siege als jede andere auf der Tour. Was es jetzt so schwer macht, sie zu schlagen? „Kim ist einfach schneller als die anderen“, sagt Mary Pierce. „Von ihr kommt immer ein Ball mehr zurück.“
Kann es sein, dass die Zeit der Verletzungspause also eine Chance gewesen ist, sich zu besinnen, Werte und das Leben neu zu sortieren? Clijsters nickt und erklärt, sie glaube daran, dass nichts ohne Grund geschehe. „Alles hat seine Zeit und seinen Platz, und vielleicht war meine Zeit vorher einfach noch nicht reif.“ Sie weiß inzwischen, dass ihre Gesundheit ein kostbares Gut ist, und sie weiß auch, dass sie ihrem Körper, obwohl sie erst 22 Jahre alt ist, nicht mehr alles zumuten kann. Deshalb hat sie kürzlich mit der Ankündigung überrascht, sie werde ihre Karriere spätestens in zwei Jahren beenden, und der Titel von New York wird daran nichts ändern. In diesen zwei Jahren, sagt sie, wolle sie alles geben, bei jedem Turnier, in jedem Spiel.
Zum Schluss bleibt freilich noch eine unprosaische Frage: Wohin mit dem ganzen Geld? Als Siegerin der nordamerikanischen Turnierserie im Vorfeld der US Open kassiert Clijsters mit einem Bonus für den Sieg in New York nicht 1,1 Millionen Dollar Preisgeld, sondern hundert Prozent Zuschlag, also 2,2 – mehr als je eine Frau im Sport auf einen Schlag verdient hat. Nein, sagt sie, sie habe sich noch nicht überlegt, was sie damit anfangen werde. Vielleicht ist sie ja so nett, nicht alles für sich zu behalten.