Die Landesliste muss gewählt werden

Nicht gegendarstellungsfähig (XIX): Der Tod einer NPD-Kandidatin in Dresden erfordert keine umfassende Nachwahl. Sinnvoll ist sie nur bei den DirektkandidatenInnen

Nach dem Tode der NPD-Kandidatin ist im Stimmbezirk 160 in Dresden „nachzuwählen“ (§ 43 Bundeswahlgesetz, BWG). Absatz 3 lautet: „Die Nachwahl findet nach denselben Vorschriften und auf denselben Grundlagen wie die Hauptwahl statt.“

In Sachsen ist mit Überhangmandaten der CDU zu rechnen. Wenn die CDU mehr Wahlkreisbewerber mit der Erststimme durchsetzt, als sie Zweitstimmen erhält, erhält sie Überhangmandate. Wie viele Direktkandidaten die CDU durchgesetzt hat, wissen die Parteien nach dem 18. September. Stehen der CDU Überhangmandate zu, hat sie keinerlei Interesse mehr an nur einer einzigen Zweitstimme in der Nachwahl. Sie wird eine massive Zweitstimmenkampagne für die FDP inszenieren. Die SPD wiederum muss jedes Interesse haben, dass möglichst viele Wähler der CDU die Zweitstimme geben, um ihr das Überhangmandat abzujagen. Ein Wahlkampf-Paradox.

Der Bundeswahlleiter hat vor, am Abend des 18. September das vorläufige Wahlergebnis zu verkünden. Er erklärt dazu: „Ob und inwieweit in dem vorläufigen Wahlergebnis Annahmen zu den Zweitstimmen der im Wahlkreis 160 zirka 219.000 Wahlberechtigten Berücksichtigung finden, werde ich nach Prüfung der bisherigen Wahlpraxis bei Bundestagswahlen in den nächsten Tagen entscheiden.“ Einen so zu Manipulation einladenden engen Wahlausgang, wie derzeit prognostiziert, weist die Geschichte der Bundesrepublik jedoch nicht aus.

Die Missbrauchsgefahr dieser „Nachwahl“ in Dresden ist danach augenfällig. Sie wäre jedenfalls für die Zweitstimmen zu vermeiden, wenn im Wahlbezirk 160 die Zweitstimmen abgegeben und gezählt würden.

Ziel und verfassungsrechtlicher Auftrag aller wahlrechtlichen Bestimmungen ist die Herbeiführung weitestgehender Stimmengleichheit. Die NPD wird nicht besser und nicht schlechter durch den Tod ihrer Kandidatin. Die Landesliste verändert sich nicht. Es gibt also nicht den geringsten Anlass, die Nachwahl auch in Ansehung der Zweitstimmen durchzuführen. Soweit die Bundeswahlordnung im Zusammenhang mit dem Todesfall des Direktkandidaten vorsieht, dass die „Wahl“ abzusagen ist, heißt das nicht, dass auch die Wahl der Landeslisten abzusagen ist. „Wahl“ bezieht sich, das erweist der Regelungsgegenstand (Tod eines Kandidaten), auf die Wahl der Direktkandidaten. Soweit diese Verordnung sagt, dass die Wahlzettel ihre Gültigkeit verlieren, kann sich das selbstredend auch nur auf die Eintragungen für die „Erststimme“ beziehen. Denn schließlich werden die Wahlzettel der Nachwahl für die Zweitstimmen dieselben Landeslisten aufführen wie für die abgesagte Erstwahl. Auch soweit in § 30 BWG von einem Stimmzettel die Rede ist, bedeutet das nicht, dass nicht für den Wahlkreisbewerber und die Landesliste jeweils ein Stimmzettel ausgegeben werden darf.

Die Verfassung und das Bundeswahlgesetz schreiben mithin die Absage der Wahl der Zweitstimme nicht vor. Wenn der Bundesinnenminister, der die Bundeswahlordnung erlässt (das ist niederrangiges Recht), zur Überzeugung kommt, dass diese in ihrer geltenden Fassung eine getrennte Durchführung der Wahl der Wahlkreisbewerber und der Landeslisten ausschließt, muss er ein paar sportpolitische Repräsentationstermine sausen lassen, sich an die Arbeit machen und die Bundeswahlordnung entsprechend ändern. JONY EISENBERG