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Rainer Schäfer Radikale WeineDie Ausnahme vom Jugendwahn

Wenn Winzer ihren Wein abfüllen, schicken sie ihn auf eine Reise. Die kann schon wenig später in einem Glas zu Ende gehen. Sie kann sich aber auch über Jahrzehnte erstrecken – sofern der Wein alle Voraussetzungen hat, sich zu entwickeln und Größe zu zeigen. Jahrgang, Boden, Rebsorte, Traubenqualität und Ausbau entscheiden.

Ein mittelmäßiger Wein wird auch mit dem Alter nicht besser. Während der Flaschenreife potenzieren sich seine Eigenschaften – die guten wie die schlechten. Vor allem Rotweine mit stabilem Tanningerüst können vornehm altern; genauso edelsüße Weiße, die von ihrem Zuckerdepot wie in einer Zeitkapsel konserviert werden. Trockene Weißweine, werden sie aus hochwertigen Trauben einer guten Lage gekeltert, haben ebenfalls das Zeug, famos zu reifen. Dann bilden sie komplexe Aromen und innere Werte aus, die Jungweine nicht bieten können. Gerade beim Riesling beginnt das eigentliche Vergnügen oft erst mit der Reife.

Doch die Konjunkturen sind schnelllebig geworden, Winzer und Händler beklagen einen stärker werdenden Jugendwahn. Meist wird Weinen nicht die nötige Zeit gegeben, um ihre Vorzüge entfalten zu können. Gegen diesen Trend arbeiten die Weingüter Wegeler im Rheingau mit ihrer Vintage Collection. Ihre Rieslinge reifen im temperaturgeführten Keller und werden frühestens nach 15 Jahren angeboten. Die Antiquitäten werden dabei regelmäßig verkostet und kontrolliert.

„Wer gereifte Weine schätzen gelernt hat“, sagt Geschäftsführer Tom Drieseberg, „mag keine Jungweine mehr trinken.“ Er hat schon Besucher erlebt, die bei einem alten Riesling völlig die Fassung verloren. Der könne eine „emotionale Verstärkerwirkung“ entfalten. Einer der Weine feiert im kommenden Jahr seinen 18. Geburtstag: Der Geheimrat „J“ 2000 wurde aus verschiedenen erstklassigen Lagen des mittleren und unteren Rheingaus gekeltert. Die trockene Riesling-Spätlese kommt offiziell erst 2020 in den Verkauf, aber für die taz gibt Drieseberg schon ein kleines Kontingent frei.

Riesling Spätlese trocken Geheimrat „J“ 2000, 36 Euro, Bezug über wegeler.com

Der Geheimrat ist ein faszinierender Sparringspartner für den Gaumen. Immer wieder riecht man am Glas, aus dem edle Aromen von getrockneten Aprikosen, Nüssen und Bienenwachs strömen. Immer wieder lässt man ihn am Gaumen zirkulieren, angetörnt von einer erstaunlichen Tiefe und Präsenz. Dieser Wein fordert einen zu einem Dialog auf. Zeit spielt dabei keine Rolle.

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