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So kommt’s

Eine Frau kommt nach Hause – und sieht in ihrem Sessel einen Riesen sitzen. Ein Geflohener? Ein Verstoßener? Ein Versehen? Mit dieser Erzählung gewann die Autorin den taz-Publikumspreis beim diesjährigen Open Mike

Von Baba Lussi

Als ich nach Hause kam, war ein Fremder da. Trat ein, zur Tür, und sah ihn gleich: Im Glühlicht aus dem Treppenhaus sah ich ihn im Sessel sitzen. „Auf meinem Sessel“, dacht ich da, nichts andres sonst, und so gesagt, nun, zugegeben, ist das schon seltsam, das und dämlich, dass das alles war, was ich da dacht, dass das alles ist, was man da denkt, wenn ein andrer schon zu Hause ist, wenn man selbst nach Hause kommt. Und dann auch das, auch das war seltsam, geb ich zu: dass ich da, als sei’s wie sonst, von den Schultern meinen Mantel streifte und vom Kopf mein Hütchen, fliederfarben. Nur die Schuhe ließ ich an; und die Tür geöffnet hinter mir; und ich knipste am Schalter für Licht im Flur. Und seltsam war dann wohl auch das: Er, der auf dem Sessel saß – der blieb da sitzen. Der zuckte leicht, als Licht anging, aber sitzen blieb der, wo er war, und ich, im Licht, da konnt ich sehn, wie groß der war, wie groß gewachsen, riesenhaft geradezu. Und das im Sitzen! Und unter ihm der Polstersessel, klein schien der aufs Mal zu sein, ein Scherz von Sessel, lachhaft klein, und dazu doch auch ziemlich schlampig, so förmlich saß der Fremde drauf. Mit gefalteten Händen und Knie an Knie, Rücken aufrecht, durchgestreckt, ins Polster ließ der sich nicht sinken – so saß der auf dem Polstersessel, wohlangezogen, wie er war, grau in grau, Pullunder, Hose, mit schmalem Kragen s’Hemd darunter, an den Füßen schöne Stiefel, selbe Farbe, kurzer Schaft.

Jetzt kann man sagen: „Mädel, ach, lauf da doch raus! Flieh fort, nur rasch, aus der Tür, dem Tor, einen Fremden zu Haus, na: fürcht den doch!“ Und ich sag: Hab ich so ja auch geglaubt – dass man so was fürchten würd. Ich nehm auch an: Hätt der Fremde, der da war, riesenhaft bis hoch zur Stirn, sich nicht gar förmlich hingesetzt und nicht auch aus den Augen gschaut, als wär – Wie heißt’s? Der sah so aus, als wär’s zu viel, allein schon Ausdenaugenschaun bei der Last seiner Lider und Wimpernkränzchen, und das auf dem Brösel von Sessel sitzend, ohne sich im Licht zu rührn. Der sprang nicht auf, kaum war ich da, um mir gleich auf gleich am Hals zu drehn! Hätt’s sich anders zugetragen – Daran hab ich auch gedacht! Dass einer, wie hier, zu finden ist, wo er gar nicht hingehört; dass sich einer, weiß nicht wann, niederlässt auf fremden Polstern und sitzen bleibt auf diesen Polstern, bis man dann nach Hause kommt … ist eine von zwei Varianten. Die andre von den Varianten: dass einer, den man gar nicht kennt, an den eignen Fersen klebt; dass einer also, Schritt auf Schritt, sich anschließt auf dem Weg nach Haus – So hätt’s sich auch ereignen können. Wie hätte ich mich da gefürchtet?! Hätt sich einer angeschlossen, um Schritt auf Schritt nach mir zu gehn, ich hätt mir bald schon ausgemalt, wie’s wär, würd er, bald vorgeprescht, den Abstand zwischen uns verkürzen und in Sekunden schon verkehrn: von letzten Metern zwischen uns zum zweifelhaften Zusammenkommen. Drum: Erwartet zu werden von dem Fremden oder von ihm heimbegleitet … da war’s mir, na: lieber, erwartet zu werden, ohne dass ich davon wusst.

Und ich wurd ja so, nicht SO erwartet! So sieht man’s doch auf keinen ab! Hätt ich’s auf einen abgesehn: auf dem Sessel säß ich nicht, na: so dämlich bin ich nicht, den sieht man gleich, noch in der Tür, mir scheint, das wär nicht, wie ich’s wollt. Hätt ich’s auf einen abgesehn, ich hätt den Hausherrn, heimgekehrt, na: von hinten angestürmt. Hätte dem, na: eins gebumst, mit dem Spazierstock oder Bräter. Wer so was plant, stellt sich nicht aus, wie’s bei mir der Fremde tat. Der saß da – Nun: nicht wie ein grober Übeltäter, eher wie ein gramer Vater, kommt das Kind zu spät nach Haus. Und darum glaub ich: Hätt’s sich anders zugetragen,wär ein andrer da gewesen statt des Riesen, der da war, der im Sitzen stillehielt: Ich hätte mich doch sehr gefürchtet, wär sehr bald hinausgeflohn, aus der Türe und dem Tor, fort und weg, vielleicht mit Schrein … auch wenn ich, gegen Riesenbeine, nicht sehr weit gekommen wär. Aber was red ich vom Schrein, was red ich vom Fliehn, ich glaub ja auch: Das hätt gebumst noch vorm Geschrei, hätte der’s drauf angelegt. Aber das hat er nicht, wie er da saß, und wie der schaute, aus den Augen --- Hab’s jetzt wohl genug erklärt …!, war der eben nicht zu fürchten und ich gefasst und kein Geschrei. „Guten Abend“, sagte ich; und hinter mir schloss ich die Tür.

Zu dieser Erzählung

Baba Lussi

Um ein paar Zeilen über sich gebeten, schickte die Autorin Folgendes: „1989 in Basel geboren, diverse Dinge studiert, manches davon irrtümlich, alles horizonterweiternd. Ich schreibe vornehmlich Prosa, im richtigen Moment auch Lyrik, genre-unabhängig: von Sonderlingen jeder Art. Neben Studien und Schreibarbeit: zwei Praktika in Pausen-Semestern (Kinderfernsehen & Ausstellungsvermittlung), Text-Arbeit für Bands gemacht, Korrekto- und Lektorat, Pfannkuchen verkauft und Maskottchen gemimt (u. a.). Der taz-Publikumspreis ist mein erster Preis, aber da und dort steck ich drin in einer Anthologie, etwa in der „Ansicht der leuchtenden Wurzeln von unten“ (poetenladen 2017). Wo ich nicht allein wirk, tu ich es mit Manuel Naef — mit gemeinsamen Texten als doppelundpunkt. Könnte ich wählen, spräche ich ein Kinderhelden-Tier synchron, im Fernsehen oder Radio.“

taz-Publikumspreis

Eine Leser*innenjury vergibt beim Berliner Literaturwettbewerb Open Mike den Publikumspreis. Der Gewinnertext wird in der taz abgedruckt. Bewerbungen zur Jury: openmike@taz.de

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Er wollte nicht, wie ich beschrieb, mit Gurgelgriff an meinen Hals. Was er aber andres wollt, na: Das wusst ich nicht zu sagen, weil er’s mich nicht wissen ließ. Er schwieg, der Riese, abendlang, auf jede Frage, jeden Vorschlag – Aber eins ums andre, erst war’s so: Eingetreten, Türe zu und endlich aus den Schuhn gestiegen, ging ich auf den Riesen zu, zwei Schritte nur, dann blieb ich stehn. Fremd hab ich mich da gefühlt – vor meinem Sessel mit dem Fremden, wie nur zu Besuch und nicht zu Haus. Vielleicht blieb ich grad darum stehn: weil das Gefühl mir verbot, mich hinzusetzen, gegenüber, auf das Sofa, wenn er mich nicht darum bat. Und da stand ich dann, sprach: „Langer Tag!“; und stand da noch, als ich ihn fragte: „Darf ich fragen, wer Sie sind …?„ Kaum war’s gefragt, war’s mir nicht recht, als wär’s vermessen, das zu fragen, wo er’s doch war, der mich empfing, auch wenn ich ja im Grunde wusst: „Mein Zuhaus, ich darf das fragen; das ist, was man wissen darf, wenn man zu Haus auf Fremde trifft.“ Ich fragte das doch durchaus freundlich, nicht im Ton des Kreuzverhörs, und hab überhaupt nie angedroht, die Ordnungsdienste beizuziehn, nicht als er bei der ersten schwieg, und auch nicht, als er weiterschwieg, bei jeder Frage, die ich stellt. Ich fragte weiter, also doch, als mir dämmert’, ich geb’s zu: „Den Fremden hier nicht zu befragen, das wär seltsam, also los!“ Und so fragt ich ihn, was nahelag; und dann nach dem, was ferner lag; und äugte, nun, ob sich was tut, ob sich was regt, ein weitres Zucken, Augenschließen. Wie heißen Sie? Woher sind Sie? Warum, bitte, sind Sie hier? Hat Sie jemand hergesandt? Wie haben Sie’s hier reingeschafft? Wie geht’s weiter? Gibt es Pläne? Hängt von Ihnen etwas ab? Erwartet man Sie? Wo wartet man? Vermisst Sie keiner? Sucht Sie keiner? Meine Güte, sucht man Sie?! Polizeilich, privat oder im Betrieb? Verstecken Sie sich? Sind Sie bedroht? Haben Sie Schmerzen? Hunger? Allergien? Kann ich helfen? Jemand andres? Gibt es was, das Sie belastet? Sagen Sie: Sind Sie auf Reisen? Haben Sie Gepäck dabei? Wo ist das denn eingestellt? In einem Schließfach? Wann läuft’s aus? Finden Sie’s nicht auch zu teuer, was so ein Schliessfach heute kostet?! Brauchen Sie denn etwa Geld? Glauben Sie, ich hätte welches? Wenn Sie hier finden: Teilen wir’s?!, das alles hab ich ihn gefragt, wie ich also vor ihm stand. Weiterhin stand ich vor ihm, beim Stehen ließ ich’s sein und bleiben, wagt weitre Schritte aber vor, und jede Frage wurd dann leichter, nur ergiebig war nicht eine. Gleich, was ich ihn höflich fragte, schweigend blieb der fremde Riese, das und völlig regungsfrei.

***

Ich glaub: Auf zehn ging’s zu, als mir Fragen fehlten und mit den Fragen Zuvertraun, dass er sich noch regen würd, brächt ich Frage um Frage vor. Auf zehn ging’s zu, als ich einsehn mocht: Nicht was ich fragte und nicht wie, würd dran was ändern, nahm ich an, dass er schwieg und weiterschwieg. Und also kurz, entschied auf zehn: „Dann sei das so, dann sei es drum, für heute ist genug gefragt.“

Und dann war’s so: Es war ja zehn und ich, kaum schwieg ich, kaum war ich nicht mehr sehr beschäftigt, drauf zu schauen „Tut sich was?!“, zugegeben, erst mal hungrig, dass ich also aus dem Eisschrank mir, nur mir, ein Fruchtmark griff. Ich weiß drum, dass s’sich nicht gehört: allein zu speisen vor Besuch. Aber ich hatt ja gefragt, ob er Hunger habe, kaum hatt ich mich nach Schmerz erkundigt; nach dringend’ Dingen fragt ich ja, und er hat da, befragt nach Hunger, wie bei jeder andern Frage, nichts gesagt und nichts getan, nicht geschnaubt und nicht gezuckt, mit keinem Finger angezeigt, dass da, nun ja, Bedarf bestand; und ich wär schön blöd von vorn zu fragen – angefangen mit dem Namen und bei Steuern aufgehört, nur weil vielleicht, das wär ja denkbar!, nach Ablauf dreier langen Stunden die eine oder andre Frage ihm dann doch den Finger rührt. Das gäb doch eine lange Nacht, überhaupt: ein langes Fragen!, nur um den Fremden, der hier saß, in angebrachten Zeitabständen auf alles, was er brauchen könnt, und alles, was ihn wohl betrifft, erneut und nochmals zu befragen und ihm damit anzubieten, doch auf eins zu reagiern.

Ich aß also allein zu Abend – im Stehn vor ihm, nicht sehr behaglich, nicht manierlich, aber angebrachter, dachte ich, als insgeheimlich in der Küche am rausgegriffnen Mark zu löffeln. Stand dann da mit leerem Becher, mit blankgelutschtem Silberlöffel, rieb mir meine müden Augen und sagte schließlich augenreibend: „Ich geh jetzt schlafen“, und da gerade -! Ich führ das aus: „Ich geh jetzt schlafen“, sagte ich … und dann eine Silbe mehr. Weshalb ich’s tat, das weiß ich nicht, nicht was ich dachte, was bezweckte, ich wähne nichts, weil für mich feststand: Ich geh jetzt schlafen, sei’s, wie’s will. Aber statt sodann, na: fortzugehn, blieb ich stehn für eine Silbe. Und wie erwähnt: weiß nicht weshalb, ich weiß nur, also, dass ich’s tat. „Ich geh jetzt schlafen, ja?“, das sagte ich, das fragte ich, zuletzt dann, so, war’s eine Frage, obwohl ich wusst: dass, nun, alles weitre Fragen nichts bezweckte und nicht würd – Aber oh, da regt’ der sich! Da regt’ der sich zuletzt dann doch und nickte, nickte, zweimal, langsam, beinah sah’s aus, als fürchte der: Was andres wär nicht zumutbar, mir nicht, hier nicht, jetzt auf gleich, nicht dass mir noch zum Fürchten wurd, eben doch und spät dann doch, und ausgerechnet, als der zustimmt, nachdem mir nichts zum Fürchten war, nicht dass er da war und da saß! Der gab mir also, unerwartet, mit seinem Nicken zu verstehn, dass er’s guthieß, einverstanden!, würde ich nun schlafen gehn. Wenn ich’s auf Anhieb auch verstand: Ich sah den an; und der zurück; der mit … eben, diesen Augen, und ich, vermut ich, wie die Salzsäuln; und konnt erst glauben, was geschah, als er nochmals, auf ein drittes, meinen Gang zu Bett benickte.

Da trat ich ab, mechanisch bald; und dann mechanisch durch den Raum; und mechanisch drüben rein; zog mich aus und legt mich hin; halbzugedeckt lag ich im Bett; und da dann wach. Ich fürchtete nicht, dass er folgen würd, nicht sogleich und auch nicht nachts. Dacht nicht dran, nicht für Sekunden, die Tür zu schließen, zu verstelln, mit der Kommode, rangeschoben, oder mit dem Bügelbrett. Lag nicht wach aus Furcht, Entsetzen, einmal mehr nicht, eben nicht – ich lag wach in Überlegung. Um den Riesen kreist’ der Kopf: wer er war und warum hier, warum er schwieg und, ausgerechnet!, auf die eine Frage ansprang, die für mich doch keine war. Dacht mir aus den vielen Fragen wie aus seinem langen Schweigen, wer er sein könnt („Ein Geflohner! Ein Verstoßner!“), doch dacht’s zu seinen Gunsten mir; konnt mir denken („Ein Versehen!“): wie man einen, wie er’s war, leicht und gründlich missverstand. So lag ich wach, den Kopf in Kreisen, und wurd erst daraus rausgerissen, als ich hörte: Der erhebt sich!; dass er dann das Bad betrat; und sehr leis die Türe schloss. Ich weiß noch: Ich fand’s arg erleichternd, dass einer wie er auch pinkeln muss.

***

Ich zögerte schließlich an der Tür, hergerichtet fürs Büro, rauszutreten und zu gehn, wie jeden Morgen, jeden Tag. Zögernd sah ich zu dem Riesen, der auf meinem Sessel saß und nur stumm zu mir zurücksah, als ich sagte: „Ich muss los. Bin um sieben wieder da.“ Und als die Tür schon offen stand, als ich beinahe gehen wollt, zog’s mich doch noch mal zurück. Ich fuhr herum und stürmte rüber, in die Küche, an den Kühlschrank, dann zum Sessel, Hände voll, und stellt ihm hin, ich sah nicht hoch: eine Flasche Vollfett-Milch und einen halben Nudelauflauf – an den Löffel dacht ich nicht. Das fiel mir ein, erst im Büro, als ich schon am Rechner saß. „Jetzt muss der mit den Händen essen!“, malt ich mir betreten aus … bis ich dann erwägen mocht: Einer, der sich selbst einlässt, hat wohl auch die Gegenwart, sich einen Löffel vorzuholn.

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