piwik no script img

Hamburger SzeneAuf der Suche nach Gemeinschaft

Es geht an diesem Abend um Gemeinschaft, um die Frage, wer sie heute wie lebt, und da ich Gemeinschaften eher zweifelnd gegenüberstehe, schien es mir richtig, hinzugehen. Eingeladen hat die Katholische Akademie, die in Hamburg ziemlich sicher zu einer bedrohten Gemeinschaft gehört, zahlenmäßig ohnehin und neuerdings auch finanziell.

Es sind erstaunlich viele Leute da, dem Anschein nach mittelalte und ältere Bildungsbürger. Auf den ersten Blick sticht nur eine füllige blonde Frau heraus, die ein bisschen wie eine Popdiva nach ihren besten Zeit und ein bisschen verwahrlost aussieht.

Es sprechen: ein Mitglied eines Künstlerkollektivs, der Prior des Hamburger Dominikanerklosters und die Vorsteherin eines Damenstifts. Sie redeten über die falsche Trennung von Arbeit und Leben, über das Lebensgefühl derer, die schon so lange totgesagt werden, dass ihre bloße Existenz überrascht, über das Alter und die Bedürftigkeit.

All das ist interessant, aber die wirklich lohnenden Einsichten kommen, wie immer, vom Rande. Auf dem Weg zum Ledigenheim, denn man wechselt den Vortragsort, spricht mich eine Dame an, die aussieht wie eine Diakonisse, mit weißer Haube, dunklem weiten Umhang und einem großen Kreuz um den Hals. „Suchen Sie eine Gemeinschaft?“, fragt sie. Ich denke, dass die Frage ins Herz der Angelegenheit trifft und fürchte zugleich, dass sie mich für ihren Orden anwerben möchte, deswegen murmele ich etwas von grundsätzlichem Interesse und meiner Familie zu Hause. „Und zu welcher Gemeinschaft gehören Sie?“, frage ich dann. „Zu keiner“, sagt sie. Und fügt hinzu, dass sie sich bei sieben Orden vorgestellt habe, aber keiner sie genommen habe. „Sie suchen eine Gemeinschaft“, habe man ihr gesagt, „aber das allein ist keine religiöse Berufung.“

Die Nicht-Ordensfrau erzählt das pragmatisch, die Absagen schienen ihr einzuleuchten. Wie erstaunlich, denke ich, sieben Absagen in Zeiten, in denen die Orden dahinsterben wie die Schmetterlinge im Herbst. Wie erstaunlich, denke ich, dass diese Frau es so sachlich erzählt. Und dann betrachte ich sie erneut, ihre Haube, den Umhang und das Kreuz. Es ist doch unübersehbar: Sie hat ihre eigene Gemeinschaft gegründet. Friederike Gräff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen