: Krawalle in Belfast
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Es waren die schwersten Zusammenstöße seit Jahren in Nordirland. Nach dem Verbot einer Parade des protestantischen Oranier-Ordens, die durch ein katholisches Viertel Belfasts führen sollte, kam es in der Nacht zum Sonntag zu Straßenschlachten, die bis gestern früh andauerten. Protestantische Terroristen setzten dabei selbst gebaute Sprengsätze, Brandbomben und Schnellfeuerwaffen gegen die Polizei und katholische Gegendemonstranten ein. Nach eigenen Angaben feuerten die Terroristen mehr als 600 Schüsse ab. Mindestens zehn Beamte wurden verletzt, ein Polizist kämpft um sein Leben. Ein Terrorist kam mit schweren Brandwunden ins Krankenhaus, weil seine Bombe in seiner Hand explodierte, bevor er sie gegen die Polizei schleudern konnte.
Der Oranier-Orden, der nach Wilhelm von Oranien benannt ist, der 1690 seinen katholischen Schwiegervater und Widersacher Jakob II. in der Schlacht am Boyne besiegte und dadurch die protestantische Thronfolge in Großbritannien sicherte, organisiert jedes Jahr mehr als 3.000 Paraden in Nordirland. Am 12. Juli, dem Jahrestag der Schlacht, marschieren die Protestanten in jeder Stadt und in jedem Dorf. Die meisten Paraden verlaufen friedlich, doch etwa ein Dutzend von ihnen führt durch katholische Viertel. Dabei kommt es jedes Jahr zu Ausschreitungen. Die britische Regierung hat deshalb in den Neunzigerjahren eine Kommission für Paraden eingesetzt, die den Streckenverlauf bestimmen soll. Sie entschied vorige Woche, die Parade am Samstag umzuleiten, sodass sie nicht durch die katholische Springfield Road im Westen Belfasts verlaufen würde. Politiker wie der extremistische Pfarrer Ian Paisley und Reg Empey, der ehemalige Bürgermeister von Belfast, riefen daraufhin zu Widerstandsaktionen auf. Seit Mittwoch war die nordirische Hauptstadt aufgrund der Proteste praktisch lahm gelegt.
In einer Presseerklärung sagte der Oranier-Orden: „Die Parade ist Ausdruck der Oranier-Kultur, die der Nordirland-Minister, die Polizeichefs und die diskreditierte Kommission für Paraden uns offenbar wegnehmen will. Die protestantische, unionistische und loyalistische Bevölkerung wird ignoriert, diskriminiert und dämonisiert.“ Der Großmeister der Belfaster Loge, Dawson Bailie, fügte drohend hinzu: „Das kulturelle Veto durch die katholischen Strohmänner der Kommission für Paraden wird nicht ohne Folgen bleiben.“ Die Unionisten seien nicht länger bereit, sagte Bailie, sich ihre britische Identität nehmen zu lassen. „Wir freuen uns über die Unterstützung aller Schattierungen des Unionismus“, sagte er, „sodass wir eine deutliche Botschaft an unsere Gegner aussenden können: Genug ist genug.“
Die Konfrontationen begannen am Samstagabend, als etwa 500 protestantische Jugendliche versuchten, die Polizeisperren zu durchbrechen. Die Gewalt griff schnell auf andere Viertel über, protestantische Paramilitärs attackierten die Armee und Polizei mit Maschinengewehren. Ein Kamerateam der BBC wurde angegriffen, der Kameramann entführt. Er wurde erst freigelassen, nachdem die Täter die Videobänder zerstört hatten.
Der Oranier-Orden beschuldigte die Sicherheitskräfte, die Situation durch ihren „skandalösen und erbärmlichen Einsatz“ verschärft zu haben. Paisley sagte, die Schuld liege bei der Kommission für Paraden, die durch die Umleitung der Parade „das Unheil, das wir jetzt haben“, heraufbeschworen habe. Polizeichef Hugh Orde meinte dagegen, dass der Oranier-Orden den Großteil der Schuld für die Gewalt trage. „Er hat die Leute öffentlich aufgefordert, auf die Straße zu gehen“, sagte er, „und kann sich nun nicht der Verantwortung entziehen.“