: Gerechtigkeit für Friedensreich!
MAINSTREAMKUNST Eine Ausstellung in Bremen will den Künstler Hundertwasser jenseits seiner Medienverwertung sichtbar machen
VON GEORG SEESSLEN
Es gab durchaus Gründe, Hundertwasser zu hassen. Und bei Gott, Friedensreich Hundertwasser wurde gehasst. Der Kitsch. Das Geschäft. Die Medien. Und zu alledem noch das verblasene, esoterische Geblubber. Die Selbstinszenierung. In der Pop Art hatte sich die Kunst Ikonen und Strategien der populären Kultur angeeignet. In einem wie Hundertwasser, so schien es, kam der Rückschlag; da hatte sich die Kunst den Regeln des Showbusiness und der Bewusstseinsindustrie unterworfen. Nieder mit Friedensreich Hundertwasser!
Aber andrerseits: Ein Spaß war das schon. Dieser postpsychedelische Griff in die Farbtöpfe. Die wirklich unnachahmliche Hundertwasser-Linie, die so tat, als hätte sie das Geheimnis gelüftet, wie man einen Kreis quadriert oder doch wenigstens ein Viereck rundet. Das Hundertwasser-Haus in Wien, in dem man eben doch eine neue Idee vom Leben in ent-eckten Formen bekommen konnte, auch wenn man es mit den ersten Hippie-Spießern teilen musste.
Aufreizende Erscheinung
Friedensreich Hundertwasser also. Begann das nicht schon in der Montessori-Schule, wo die Kunsterzieherin das außergewöhnliche Gespür des Knaben für Farben entdeckte? Auf der Kunstakademie hielt es ihn nicht so lange, immerhin signierte er seit damals seine Bilder mit „Hundertwasser“, in den sechziger Jahren kam das „Friedensreich“ dazu. Der Maler lebte reisend, vielsprachig, ländlich. Und fleißig. 1964 stellte er malerische Arbeiten auf der documenta III aus; damals war Malerei noch eine eigene Abteilung. Dabei hat Hundertwasser schon früh versucht, die Begrenzungen der Atelierarbeit zu überwinden.
All seine Behausungen, der Bauernhof in der Normandie, die Hahnsäge im Waldviertel, der alte Salzfrachter, der zu „Hundertwassers Regentag“ wurde, waren Thoreau’sche Doppelarchitekturen, Werkstätten und Naturdialoge. Seine Kunst schien danach zu verlangen, in die öffentlichen und medialen Räume zu gelangen; es entstanden Filme, er entwarf ein Plakat zur Olympiade 1972, er gab Vorlagen für Briefmarken, und er widmete 1982 die Fassade der Rosenthal-Fabrik in Selb um, die Idee eines menschenfreundlichen Bauens setzte sich nicht allein im Hundertwasser-Haus um, das im Jahr 1986 den privilegierten Mietern übergeben wurde und heute touristisch begangen werden kann.
Das Aufreizende an Herrn Hundertwasser, was die öffentliche Erscheinung anbelangt, war gewiss diese sonderbare Mischung aus fortschrittlichen, antiautoritären, humanistischen und aus konservativen, postromantischen, wenn nicht gar reaktionären Elementen. Er träumte von einem alten Österreich, ja er trat offen für die Wiedererrichtung der Monarchie ein, er sprach von der Kraft der Region und lehnte das Europäische, das modern Urbane, das Amerikanische ab. „Österreich braucht ein übergeordnetes Zentrum, bestehend aus immerwährenden höheren Werten – die man gar nicht mehr auszusprechen wagt –, wie Schönheit, Kultur, inneren und äußeren Frieden, Glaube, Reichtum des Herzens.“ So etwas sprach nicht nur den Österreichern aus dem Herzen; in Hundertwasser, schmerzlich genug, bildete sich das Umkippen des ästhetischen Widerstands in einen Nostalgietraum ab. Und aus der Zukunftshoffnung wurde die Vergangenheitssehnsucht.
In einem wie Friedensreich Hundertwasser wurde der Pakt zwischen der Kunst und den linken, progressistischen sozialen Bewegungen aufgehoben; dort vielleicht noch in bizarren Ambivalenzen, bei etlichen Nachfolgern auch auf eine weniger unverbindliche Weise. Hundertwasser bot seine Kunst ganz bewusst als Rückzugsgebiet für die geschundenen Seelen der Nachkriegsgenerationen an. Sowohl seine ästhetischen Ausschmückungen im öffentlichen Raum als auch seine persönliche Erscheinung war, was man von moderner Kunst bislang nicht sagen durfte: „mainstreamfähig“.
Denn das ästhetische Konzept war zugleich ein Lebenskonzept, die Hundertwasser-Spirale eine soziale Leitlinie, die „vegetative“ Malerei eine Hoffnung, das verlorene Dialogfeld mit der Natur zurückzugewinnen, und die Üppigkeit der Farben versprach eine Rückkehr zum Naiven, ja Kindlichen in einer Kunst, die sich immer stärker auf den Diskurs zu beziehen schien. Hundertwasser brachte für alle sichtbar die Freude in die Malerei zurück. Und seine nimmermüde Attacke gegen alles Eckige und Hierarchische, gegen die Perspektiven von Herrschaft und kalter Vernunft machten ihn gewiss zu einem Propheten des Glücks in einer Zeit, in der man noch glauben konnte, das Glück sei so nahe, dass man es nur hätte greifen müssen.
Und Hundertwassers Kunst? Auf dem Grund seiner vegetativen, zweifellos magischen Spiralen- und Farbenbewegungen steckt ein unübersehbares Element von Angst und Grauen. Man mag das biografisch grundieren, aus der Erfahrung eines Jungen, der seine jüdische Identität in katholischer Taufe und sogar im Beitritt in die Hitlerjugend verbergen musste und dessen Angehörige in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Allgemeiner ging’s bei ihm um einen Prozess der Befreiung; oft bewegt sich alles aus einem Menschenantlitz heraus, das ganz und gar nicht glücklich erscheint. Alles, die Farben, die Formen, die Architekturen scheinen darauf hinauszulaufen, das störrische, beladene Subjekt aufzulösen. Vor den Hundertwasser-Gemälden bildet sich ein Traum-Raum, in dem sich alle Konstruktion verflüchtigt; anderswo erzielte man diesen Effekt mit Fuzz-Gitarren und Drogen.
Hundertwasser verfasste ein Manifest gegen die Rationalität in der Architektur, und weil einer wie er darauf verzichtete, von der kapitalistischen Rationalität zu sprechen, bediente er Sehnsucht mehr als Widerstand. Das machte, dass seine ästhetischen Interventionen in die Stadt und in die Kommunikationskanäle, zu denen seine Popularität ihn befähigten, so seltsam folgenlos blieben. Im Dialog mit dem Mainstream wirkte Hundertwassers Kunst eher dekorativ und weniger „ansteckend“. Zudem wurde der späte Hundertwasser zu einem politischen Reaktionär, der auch vor Rassismen in den Asyldebatten nicht zurückschreckte.
Im Kleinen eher, im Handwerklichen lag aber vielleicht dennoch einmal eine Befreiung, die etwa anhand jener Teppicharbeit unter dem Titel „Pissender Knabe mit Wolkenkratzer“ sichtbar wird, die Hundertwasser aufgrund einer Wette im Jahr 1953 ohne Kartonvorlage webte. Auch alle späteren Tapisserien nach seinen Arbeiten sollten ohne Vorlage entstehen. Die magische Einheit von Material, Körper und Form drückte sich bei ihm so direkt wie möglich aus: keine Konstruktion, keine Vorlage, keine Abbilder.
Und eine Kunst, die nicht für die Wenigen und für die Reichen da zu sein hätte. Damit aber handelte sich Hundertwasser ein exemplarisches Problem ein. Jener, der so vehement gegen die Rationalität und das Geplante anging, wurde selbst zum Mittelpunkt einer Verwertungsindustrie. Hundertwasser-Poster. Hundertwasser-Schmuck. Hundertwasser-Bücher. Ein Markt wurde seit den siebziger Jahren, wie man sagt, überschwemmt. Man konnte es schon nicht mehr sehen, den Hundertwasser und noch mehr eine modische Hundertwasserei: Wahrscheinlich hat niemand so viele Vorlagen für schlechte Kunst geliefert wie Hundertwasser. So wurde es ein Leichtes, Hundertwasser zu hassen.
Was lag näher als eine Verbindung zur Ökologie? Hundertwasser, der populäre Dekorateur der öffentlichen Räume, und Hundertwasser, der Bilderlieferant der frühen Grün-Alternativen – dahinter drohte der Künstler Hundertwasser ebenso zu verschwinden wie einer, dem es in seinen Fantasien durchaus auch um das Komische und das Groteske, das Erschreckende gegangen ist. Es lohnt durchaus, diesen anderen Hundertwasser wieder sichtbar zu machen.
■ „Friedensreich Hundertwasser: Gegen den Strich“, Kunsthalle Bremen, bis 17. Februar 2013