: Mit Design gegen Vorurteile
Züleyha Mau beschreibt Eigenarten von Deutschen und Türken in einem neu designten Buch. Was das deutsch-türkische Verhältnis angeht, ist die Tochter türkischer Einwanderer optimistisch: „Wir haben doch die gleichen Moralvorstellungen“
AUS UNNA SEBASTIAN KORINTH
Frau Mau kann viel berichten über Diskriminierung – im Kindergarten, in der Schule, nach dem Anschlag vom 11. September 2001 oder ihrem Experiment. Einen Tag lang hat sie ein Kopftuch getragen: „Du wirst einfach blöd angeguckt – selbst auf dem Lidl-Parkplatz hat man mich angepöbelt“, sagt sie. Züleyha Mau ärgert sich noch immer. Aber sie läst sich nicht einschüchtern: Heute will die selbstbewusste 31-Jährige ihre Erlebnisse als Tochter türkischer Einwanderer positiv umsetzen: „Ich will Brücken bauen und Vorurteile aufheben“, sagt sie: „Viele Türken in Deutschland haben Integrationsprobleme.“
1968 kommt Züleyhas Vater Hüseyin als „Gastarbeiter“ zu Volkswagen nach Wolfsburg. Aber als Gast wird er nicht behandelt, sondern wie ein Hilfsarbeiter: „Man hat ihm mit Edding eine Nummer auf den Oberarm geschrieben“, erzählt Züleyha. Ihr Vater wohnt fortan abgeschottet von den Deutschen, wird von Volkswagen in einem Heim für die Einwanderer einquartiert. Niemand will dem Türken eine Wohnung vermieten. Erst als 1972 seine Frau und Züleyhas ältere Geschwister nachkommen, zieht die Familie in eine richtige Bleibe um.
1978 wird dem Vater bei Volkswagen gekündigt. Neue Arbeit findet er im Sauerland – mit seiner Familie zieht er um nach Fröndenberg. Hier geht Züleyha in den katholischen Kindergarten. „Ich konnte kein Wort Deutsch und wurde nur geärgert. Ich wollte da nie wieder hin“, sagt sie heute. In der ersten Grundschul-Klasse bleibt sie sitzen. Statt sie zu fördern, drohen ihre Lehrer Züleyha mit der Sonderschule. Das Mädchen bekommt es mit der Angst zu tun, fängt an, mit ihren Brüdern Deutsch zu üben und Bücher zu lesen. Ihr Vater unterstützt und motiviert sie, lässt sie zu Klassenausflügen mitfahren. „Meine Eltern wollten immer, dass wir es besser haben als sie, dass wir eine gute Ausbildung genießen.“
Dem Rat ihrer Lehrer, auf die Hauptschule zu gehen, folgt Züleyha nicht: Sie schafft das Abitur – als erste Türkin auf der 1978 gegründeten Schule.
Danach macht sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau, lernt 1994 ihren heutigen Ehemann Thomas kennen. Ein deutscher Freund? Ihr Vater ist zunächst skeptisch. „Aber meine Brüder haben mich unterstützt, auf meinen Papa eingeredet. Am Ende hatte er doch nichts dagegen.“ Die ernste Stimmlage ist verschwunden. Züleyha lächelt, sie klingt glücklich, ein bisschen stolz: „1996 haben wir geheiratet.“
Nach ihrem Schulabschluss greift Züleyha ein altes Talent auf: das Zeichnen. Sie studiert Grafik-Design an der Fachhochschule in Münster. Ihre Diplomarbeit möchte sie über das Verhältnis zwischen Deutschen und türkischen Einwanderern schreiben: „Ich habe immer mit meinem Mann darüber geredet, wie unterschiedlich wir sind“. Zunächst muss sie ihren Professor überzeugen: „Der hat mir gesagt, ich sei schließlich nicht im Soziologie-Studium. Der Inhalt des Buches war mir aber genauso wichtig wie das Design.“ Züleyha kann sich durchsetzen.
Ihre Idee: Im Grunde sind es zwei Bücher, wie nebeneinander liegend, aber in der Mitte miteinander verbunden. Ein Buch wird nach links aufgeschlagen. Es informiert mit Bildern und Grafiken über typische Gegenstände, Eigenschaften und Traditionen türkischer Einwanderer. Das andere Buch wird nach rechts aufgeschlagen und zeigt die deutsche Gegenseite. Es sind keine Eindrücke der Autorin, sondern Recherche: 120 Türken und Deutsche ließ sie Fragebögen ausfüllen – während sie in einer Frankfurter Werbeagentur arbeitet, nutzt sie die Mittagspause zu Umfragen. Nachts feilt sie an ihrer Arbeit. Das Konzept überzeugt schließlich nicht nur ihren Professor: Züleyhas Arbeit wird mit sehr gut bewertet. Für Design und Recherchearbeit erhält sie einen besonderen Förderpreis der Fachhochschule.
Als sie dann zur Frankfurter Buchmesse fährt, um ihre Arbeit vorzustellen, ist sie enttäuscht von der Masse an Unterhaltungsbüchern – „allein der Druck meines Buches sollte zu teuer sein“, ärgert sie sich. Trotzdem gab es ein Erfolgserlebnis: Im Zug wird Züleyha von einem Mitfahrer gefragt, was für ein Buch sie mit sich herumtrage. Auf ihre Antwort bekommt sie eine überraschende Reaktion: Das Buch gebe es doch schon. Das habe eine Studentin aus Münster geschrieben. „Ich war völlig überrascht. Der Mann hat mich zwar nicht erkannt, aber über mein Buch wusste er Bescheid.“
Im August kommt ihr Sohn Yasin zur Welt. Das Kind ist ihr wichtiger als die Suche nach einem Buchverlag. Außerdem will sie zunächst nicht, dass ihre Design-Idee dem Taschenbuch-Format zum Opfer fällt. Jetzt hat sie eine Taschenbuch-Version entwickelt, will einen neuen Anlauf nehmen. „Auch wenn sich mein ganzer Tagesablauf zur Zeit nach dem Kind richtet.“
Das Thema ihrer Diplomarbeit will Züleyha im Auge behalten. Mehrere Vorträge hat sie gehalten, sie hat Ausstellungen im Ruhrgebiet und dem Sauerland gestaltet. Außerdem nimmt sie Illustrationsangebote an und gibt Zeichenkurse an der Volkshochschule.
Was das Verhältnis zwischen Deutschen und TürkInnen betrifft, ist Züleyha optimistisch – trotz aller negativen Erfahrungen: „Es hat sich ja in den letzten 40 Jahren auch schon viel verändert – drei Viertel der hier lebenden Türken haben mittlerweile Kontakt mit Deutschen. Es gibt zum Beispiel auch viel mehr Mischehen.“ Ihre Tipps zum besseren Zusammenleben: „Die Leute sollten einfach viel mehr zusammen machen. Mehr Respekt und Toleranz sind das Wichtigste. Man kann niemanden mit Zwang verändern und sagen: ,Nimm‘ Dein Kopftuch ab!‘“
Beim Kopftuchstreit ist sie sich unsicher: „Hier versteht man die Frauen nicht“, sagt Züleyha: „Die Einstellung, ein Kopftuch tragen zu wollen, hat nichts mit Rückständigkeit zu tun.“
Kritik übt sie am öffentlichen Umgang mit dem Thema Fundamentalismus: „Die Türken haben auch Angst vor Terror. Und sie haben Angst davor, auf Anhieb damit identifiziert zu werden – nur wegen ihres Aussehens.“ Überhaupt vermisst Züleyha die Diskussion über positive Beispiele: „Wer will schon ein Buch schreiben über eine deutsch-türkische Beziehung, die gut läuft?“, fragt sie ein bisschen resigniert. „Dabei haben wir doch auch irgendwo die gleichen Moralvorstellungen.“
Die Leute, die zu ihren Vorträgen und Diskussionen kämen, seien sowieso offene, tolerante Menschen. Begeistert ist sie vom türkischstämmigen Regisseur Fatih Akin aus Hamburg: „Er hat Filme gemacht, die einen Beitrag zur Verbesserung der Beziehung zwischen Deutschen und Türken leisten.“
Züleyhas Familie fühlt sich mittlerweile wohl in Deutschland: „Meine Eltern sind verliebt in Deutschland und in die Türkei – den Gedanken, endgültig zurückzugehen, haben sie aufgegeben.“ Auch Züleyha und Thomas zieht es nicht dauerhaft in die Ferne. Züleyha hat beide Kulturen miteinander vereint – die deutsche und die türkische. „Ich komme oft zu spät, bin gastfreundlich und herzlich; das ist typisch türkisch. Ich bin aber auch ordnungsliebend und kritisch – also typisch deutsch. Doch wenn‘s ein Fußballspiel gibt, habe ich immer noch meine Lieblingsmannschaft: die Türkei.“