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Alles, wo es hingehört

Am Thalia Gaußstraße gelingt Schauspielerin Birte Schnöink mit Wolfgang Herrndorfs Romanfragment „Bilder deiner großen Liebe“ ein berührender Solo-Abend

Von Katrin Ullmann

Gegen Ende verkündet sie: „Universum hier, Isa hier, alles, wo es hingehört.“ Und: „Ich bin nicht verrückt, ich bin dieselbe, ich bin das Kind.“ Knapp eineinhalb Stunden hat man ihr da zugeschaut, ist ihr gefolgt auf ihrer scheinbar ziellosen Reise, tage- und nächtelang durch Täler, Tannenwälder und durch ihre Fantasie. Fasziniert und irritiert.

Sie, Isa, gespielt von Birte Schnöink, ist eine kaum greifbare Person, und doch und gerade deshalb die Hauptfigur des letzten, unvollendeten Romans „Bilder deiner großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf. Seit 2010 litt der Schriftsteller an einem bösartigen Hirntumor. Am 26. August 2013 nahm er sich im Alter von 48 Jahren das Leben. Er erschoss ich am Ufer des Hohenzollernkanals in Berlin.

Herrndorf, das war auch – und in der breiten Öffentlichkeit vor allem – der Autor des mitreißenden Romans „Tschick“. Darin treten zwei Halbwüchsige in einem geklauten Lada eine wilde Fahrt durch Ostdeutschland an. Tschick und Maik heißen sie und irgendwann auf ihrer abenteuerlichen Reise begegnen sie Isa Schmidt. Auf einer Müllhalde. Isa läuft barfuß „wie ein kleines, schnelles Tier“. In „Bilder deiner großen Liebe“ erzählt dieses verwahrloste Mädchen nun seine eigene Geschichte. Bis kurz vor seinem selbst gewählten Tod hatte Herrndorf an dem Roman gearbeitet, hat ihn noch zur Veröffentlichung bestimmt.

In der Garage, der rauen, schlichten Nebenspielstätte am Thalia Gaußstraße, hat Rosa Maria Tietjen das Romanfragment auf die Bühne gebracht. Es ist ihre erste Regiearbeit am Thalia Theater. Hauptamtlich ist Tietjen Schauspielerin, zurzeit am Schauspielhaus Zürich und den Münchner Kammerspielen. Jetzt inszeniert sie, mit Birte Schnöink als Isa. Schnöink spielt das verquere Mädchen durchscheinend, zart und kraftvoll zugleich: als Kindfrau, als verlorenen Cowboy, als rauen Kerl, als Abdriftende, als fragil Verrückte, als Menschenfreund und Momentgenießer.

Das Bühnenbild imitiert keine der von Isa durchlebten Realitäten – Anstalt, Berg, Schiff, Wald, Fluss, Autobahn, Pfützen, Friedhof. Lediglich Theatertechnik, ein paar Scheinwerfer, eine E-Gitarre, ein Mikrofon, eine Nebel- und eine Windmaschine stellt Bühnenbildnerin Katharina Pia Schütz der Schauspielerin zur Verfügung. Mit diesen Gegenständen baut Schnöink Szenen und Szenerien, wie nebenbei. Dann ist die Nebelmaschine ein Rasensprenger, unter dem es sich wohlig duschen lässt, ist ein Scheinwerferspot „die Sonne, mein schöner Freund“.

Schnöink agiert mit traumwandlerischer Sicherheit. Sie ist nicht nur „Isa, Herrscherin des Universums“, sondern an diesem Abend auch die alleinige Herrscherin über Worte, Raum, Begegnung und Zeit. Fragend und klar, rau, kühl, aber nie unterkühlt, perlt aus ihr Herrndorfs Text – ein sehr brüchiger, poetischer und assoziativer Roadtrip. Mit ruhigen Bewegungen durchstreift Schnöink dazu den weiß ausgekleideten Raum. Ein weißes Hemd, ein breitkrempiger Hut und ein Gürtel, in den sie ab und zu einen Akkuschrauber feststeckt, machen sie zum lässigen Cowboy (Kostüme: Rosa Maria Tietjen und Birte Schnöink).

Aber sie ist ganz bestimmt kein Cowboy, der gewieft und gewappnet durch die Prärien des Lebens streift, dabei immer die Waffe im Anschlag. Sondern einer, der auch mal unvermittelt ein Rad schlägt, der seine Hand schützend über einen Weberknecht hält. Der über den Tod nachdenkt, das Leben und die Anzahl der Sterne. Und einer, der ungefragt auf einem Binnenschiff mitfährt, verträumt im flachen Gras liegt und die am Himmel vorüberziehenden Wolken betrachtet.

Birte Schnöink ist eine großartige Isa, eine die das Wundern über die Welt erfahrbar macht, und zugleich die verzweifelte Sehnsucht nach Abenteuer. Keine ihrer Handlungen ist vorhersehbar. Unvermittelt und doch kontrolliert wechselt sie von einer Schwärmerei für Francis Drake in einen schmissigen Seemannssong, von schwelgenden Momenten zu einem Innehalten in großer Verlorenheit.

Diese Isa – „Ein schwarzer Gedankenstrich, eine gelbe Schlange, ein rotes Dreieck. Mein Name“– kann zaubern. Da stößt die Nebelmaschine im Hintergrund in ihrem Rauchrhythmus den Zigarettenrauch aus, da geht der Sonnenscheinwerfer nur auf, wenn sie es will. Am Schluss zaubert sie schließlich das Garagentor auf. „Wenn ich will, dass das Eisentor aufgeht, dann geht das Eisentor auf“, hatte sie lang zuvor angekündigt. Herein kommen Figuren aus ihrer Fantasie, ihrer Erzählung. Es ist ein heiteres, versöhnliches Schlussbild nach diesem berührenden und bemerkenswerten Solo-Abend, nach dieser gelungenen Gratwanderung zwischen Leichtsinn und Schwermut.

Nächste Aufführung: Sa, 16.12., 20 Uhr, Thalia Gaußstraße

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