berliner szenen: Bloß weg aus dieser Stadt
Am S-Bahnhof Westend setzt sich eine vielleicht 25-Jährige neben mich auf die Bank und fragt: „Weißt du zufällig, wie man hier eine Wohnung findet?“ Ich sehe sie von der Seite an: „Meinst du die Frage ernst?“ Sie lächelt: „Na klar.“
Ich runzle die Stirn: „Da fragst du was! Ich habe selbst ewig gebraucht, eine Wohnung zu finden und wüsste nicht, wie ich jemals an eine andere kommen sollte.“
Sie sieht mich groß an: „Gibt es denn keine Tricks?“ Ich zucke mit den Achseln: „Wohnung von Bekannten übernehmen, Suchkampagne in sozialen Netzwerken starten, Zettel aufhängen …“
Ein Mann mischt sich ein: „Lassen Sie sich einen Button drucken: ‚Suche Wohnung‘. Den stecken Sie sich an den Mantel und setzen sich damit in die Bahn. So hat das bei einer Bekannten geklappt.“
Die Frau stöhnt: „Ernsthaft? Einen Button? Den Rest habe ich schon versucht. Hat mir nur ein unsaniertes Zimmer zur Zwischenmiete hier in der Gegend gebracht. Ich weiß ja nicht, ob Berlin an anderen Ecken schöner ist, aber ich verstehe echt nicht, warum die Stadt so gehypt wird. Es ist laut, es stinkt und die Menschen sind nur auf sich selbst bedacht. Ich möchte hier nur noch weg.“
Ich lächele ermutigend: „Von einem Kiez kann man unmöglich auf die ganze Stadt schließen.“ Sie verzieht ihre Mundwinkel: „Ich habe auch schon in WGs in Neukölln und in Mitte gelebt, da war es auch nicht ruhiger und sauberer.“ Ich muss lachen: „Vielleicht ist Berlin einfach nichts für dich. Seit wann bist du denn hier?“ Sie stöhnt: „Seit anderthalb Jahren.“
Dann erzählt sie, dass sie für ein Referendariat gekommen sei und meint: „Vorhin wurde ich unvorbereitet als Vertretung in eine Klasse geschickt und musste eine Klausur schreiben lassen. Und so läuft das nur. Das sagt für mich alles über diese Stadt.“ Eva-Lena Lörzer
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