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Archiv-Artikel

„Der CDU ist meine Lebenswelt fremd“

taz-Serie „Die Souveränen“ (Teil 1): Ute Sickinger (27) designt Taschen in Prenzlauer Berg. Nach ersten Erfolgen arbeitet sie an einem Businessplan. Mit der CDU hat die Jungunternehmerin nichts am Hut. Bei der Bundestagswahl setzt sie auf Rot-Grün

VON TINA HÜTTL

Überschaubar möchte sie das Risiko halten, sagt Ute Sickinger. Und überschaubar ist auch das Schaufenster, das sich die junge Produktdesignerin mit zwei anderen Ein-Frau-Betrieben teilt. In der Mitte des Glaskastens liegen zwei Hüfttaschen auf einem weißen Sockel. „Utesi“ steht auf dem Label, das ist die Abkürzung aus ihrem Vor- und Nachnamen. Links und rechts davon hängen die Produkte ihrer Kolleginnen: Die Hochzeiten- und Eventagentur „Ich will!“ zeigt ein Bild eines Bräutigams, der seine Braut glücklich in die Lüfte hebt. Und „Ninn Design“ präsentiert dazu passend das Poster mit Entwürfen für Hochzeitseinladungen, Tischkärtchen und Flyer.

Insgesamt teilen sich das Ladenbüro in der Schliemannstraße, nicht weit vom Helmholtzplatz, sieben Frauen. Gegründet hat die Bürogemeinschaft die Hochzeitsausrichterin Andrea Völkert mit drei Bekannten. Heute arbeiten dort neben ihr zwei Grafikerinnen, eine Übersetzerin, eine Stylistin und eine Lerntherapeutin. Nun schminkt die Maskenbildnerin die Bräute, die Übersetzerin hilft den Designern ab und an bei ihren Texten. Ute kam als Letzte, sie hat erst im April ihren Schreibtisch in dem hellen Büro mit den schönen Dielen aufgebaut.

150 Euro monatlich zahlt sie für ihren Platz, das winzige Abteil im Schaufenster ist inklusive. Vorbei sind die Zeiten der jungen Unternehmensgründer, die gleich ganze Büroetagen für ihre oft mageren Ideen mieteten. Vorbei auch die Zeiten, als die Politik sie noch als Vorzeige-Jugend hofierte, die auch der alten Wirtschaft neuen Elan einhauchen sollte. Es scheint, die Parteien haben sie wieder vergessen, die Gründer, die das Risiko nicht gescheut und dabei zum größten Teil fremdes Venture Capital in den Sand gesetzt haben.

Ute Sickinger gehört quasi zur Post-New-Economy-Generation. Einer jungen Frau wie ihr, die mit ihren Produktideen eine kleine Existenz aufbauen will, widmen die Parteien in ihren Wahlprogrammen keine große Aufmerksamkeit. Nicht einmal für die Debatte zur Ich-AG taugt sie, da sie sich nach der Uni weder arbeitslos gemeldet hat noch jemals in einer Festanstellung war und Arbeitslosenbeiträge eingezahlt hat. Sickinger ist das mangelnde Interesse egal. Sie hat keine konkreten Erwartungen an die Politik – noch nicht einmal, dass sie ihr später eine Rente garantiert. „Ich muss selbst schauen, was ich aus meinem Leben mache“, sagt sie. Enttäuschungen oder gar Politkverdrossenheit sind ihr fremd.

Im Juni 2004 hat sie ihr Produktdesign-Studium an der Fachhochschule in Mainz beendet, einige Monate später packte die 27-Jährige ihre Sachen. Sie zog nach Berlin, weil hier viele ihre eigenes Ding machten. „In der Stadt gibt es unzählige Läden, Ateliers und Büros von Leuten, die sich einfach ausprobieren. Das hat mich motiviert.“ Die Businessidee hatte sie beim Umzug im wahrsten Sinne des Wortes schon in der Tasche. Denn Taschen sind ihr Metier: In ihrer Diplomarbeit beschäftigte sie sich mit der Frage, wie man am besten schwere Dinge richtig und zugleich schön trägt. Heraus kam eine Laptop-Tasche für Frauen, die sich wie ein figurbetonter Gürtel an Hüfte und Po schmiegt. Für Männer nähte sie einen seitlich getragenen Hüftbeutel – der Cowboy-Colt-Halter hat sie inspiriert.

Danach ging es schnell: Als Jungdesignerin wurde sie von Talentscouts auf die international bekannte Produktmesse „Ambiente“ in Frankfurt eingeladen. Dort wollten gleich mehrere Läden ihre Ware bestellen. Ein Händler aus Saudi-Arabien bekundete Interesse an einem Großauftrag. „Ich konnte denen aber noch nicht einmal Preise nennen“, erzählt sie. Mittlerweile kann sie das, auch einen Berliner Hersteller für ihre Ledertaschen hat sie gefunden. Die aus Stoff näht Sickinger noch selbst auf der Maschine. Neulich hat sie ihren Entwurf an einer Frau auf der Straße gesehen. Der Erfolg ihrer Produkte freut sie immer noch.

Leider bedeutet er noch nicht automatisch Geld. Etwa 40 Euro verdient sie an einer in drei Stunden handgenähten Tasche, bei denen in Fremdproduktion sind es 15 Euro. 1.000 Euro, überschlägt sie, brauche sie für Büro, Wohnung und Leben im Monat. Die Einnahmen ihres Labels „Utesi“ decken das nicht. Weil sie zusammen mit ihrem ehemaligen Professor im Auftrag einer renommierten Firma eine Kaffeemaschine entwirft, geht es momentan gut. Doch schon im nächsten Monat kann alles ganz anders aussehen.

Sickinger kennt die Angst und die Frage: Wie soll es weitergehen? Gleichzeitig hat sie sie aber selbst gewählt: „Bei meinem Lebenslauf hätte ich wohl Chancen, fest in der Designabteilung einer Firma unterzukommen.“ Ihr Ehrgeiz ist aber, es als selbstständige Designerin zu schaffen. Auch wenn sie dafür mehr und für wenig Geld arbeiten muss. Momentan steckt sie in einer Zwickmühle fest: Um das Taschengeschäft auszubauen und eventuell davon leben zu können, benötigt sie Investitionskapital für neue Farben, Materialien und Modelle. Gleichzeitig schreckt sie vor Schulden zurück. „Ich muss es wohl aber wagen, wenn ich nicht zwischendurch wieder in einem Copyshop jobben will.“ Zusammen mit zwei Kolleginnen hat sie deshalb beschlossen, zu einer Existenzberatung zu gehen. Und sie will einen Businessplan schreiben, um mit einer Bank über einen Existenzgründerkredit zu verhandeln.

„Ich muss mich beeilen, bevor die CDU alles ändert“, fügt sie hinzu. Die rot-grüne Koalition ist ganz klar ihre Lieblingskombination. Wem von beiden sie ihre Stimme gibt, will sie kurz vor der Wahl noch taktisch entscheiden. „Wichtig ist, dass die SPD möglichst stark bleibt.“ Es geht ihr weniger um einzelne politische Programmpunkte als um das große Ganze, für das die Volkspartei im Gegensatz zur CDU stehe. „Ich halte die SPD nach wie vor für sozial“, sagt sie. Und: „Der CDU ist eine Lebenswelt wie die meine fremd.“ Die Union habe bei ihrem Konzept der Steuerentlastungen doch eher die Unternehmer ab dem Mittelstand im Blick.

Die von der CDU favorisierte Erhöhung der Mehrwertsteuer würde eine wie sie dagegen hart treffen. Die Herstellung ihrer Taschen würde teurer, rechnet sie, und die Kunden würden ihr weniger abkaufen. Generell findet sie Wähler, die ihr Kreuz bei denen machen, die ihnen den größten persönlichen Vorteil verschaffen, aber nicht gut. Nur eins würde sie sich von der Politik doch wünschen: Die monatliche Abrechnung für die Steuer, die sie als Gewerbetreibende macht, müsste einfacher werden. Bis jetzt hilft ihr eine Freundin, die Steuerberaterin ist. Im Gegenzug entwarf ihr die Designerin Visitenkarten und betreut ihren Internetauftritt. Wie gesagt, auf die Politik will sich Ute Sickinger nicht verlassen, denn irgendwie geht es auch so.