: Klänge als Torsi
Minimal ist nicht gleich Minimal. In Deutschland gibt es ohnehin kaum Vertreter der Minimal Music, am bekanntesten wurden noch Hans Otte und Peter Michael Hamel. Ein weiterer hiesiger Minimalist ist Ernstalbrecht Stiebler, der als Komponist lange Zeit am Rand der musikalischen Avantgarde stand. Seine Musik sieht er allerdings stärker von der Minimal Art als von den musikalischen Minimalisten im engeren Sinn – Terry Riley, Steve Reich, Philip Glass – beeinflusst. Reduktionismus kann man dazu sagen, da er mit stark begrenztem Material arbeitet, wie sein US-amerikanischer Kollege Morton Feldman, der zu Stieblers Inspiratoren aus der Tonkunst gehört.
Ernstalbrecht Stiebler ist in vieler Hinsicht ein extremer Komponist. Seine Hörer lässt er mit den Klängen allein. Statt sie an der Hand zu nehmen, setzt er sie seiner Lakonik aus. „Im Klang sein“ nennt er das, „nichts erwarten – keine schönen Stellen – keine großen Emotionen – keine Raffinessen –, sondern von Ton zu Ton einem Klang folgen, der die Musik trägt, ein Klang im Klang.“
So Stieblers ästhetische Selbstverständigung im Booklet des Albums „Im Klang sein“, das behutsam in den Kosmos des mittlerweile 83-Jährigen einführt. Hier kann man an zwei kammermusikalischen Werken und einem Orchesterstück nachvollziehen, wie seine Klänge ihren eigenen Regeln folgen, sich scheinbar frei von jeder Form entwickeln. Ohne scharfe Dissonanzen, dafür mit feinen mikrotonalen Reibungen, Sechsteltönen etwa. Keine rhythmischen Patterns oder andere aufdringliche repetitive Figuren, bloß langsam fließende, fast träge Töne. Meditativ, ganz ohne Esoterik.
Für Fortgeschrittene ist in diesem Jahr auch eine Schallplatte mit Orgelmusik des gebürtigen Berliners erschienen. „Kanon/Torsi“ kombiniert zwei Stücke mit gut 20 Jahren Abstand dazwischen. „Kanon“ von 1980 verblendet die Klänge von Kirchenorgel, elektrischer Orgel und Bläsern zu einem ruhig schillernden Strom, der beständig seine Farbe wechselt und die einzelnen Stimmen oft so mischt, dass man sie kaum auseinanderhalten kann. „Torsi“ von 2002 ist „reine“ Kirchenorgelmusik in drei Teilen. Mit etwas mehr Bewegung, aber im sehr kontrollierten Rahmen.
Tim Caspar Boehme
Ernstalbrecht Stiebler: „Im Klang sein“ (World Edition); „Kanon/Torsi“ (Edition Telemark)
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