Isolde Charim Knapp überm Boulevard: In Österreich gelingt die Koalition – wir haben es da besser
Wenn Sie meinen, die politische Situation in Deutschland sei gerade unerfreulich oder schwierig, dann sei Ihnen ein Blick über die Grenze empfohlen – nach Österreich. In dem kleinen, idyllischen Land sind die Grünen, trotz eines grünen Bundespräsidenten, gerade aus dem Parlament geflogen. Also der eine Teil – denn zuvor hatten sie sich gespalten, die Grünen. Der andere Teil hat als neue Liste den Einzug zwar geschafft, ist aber gleich danach seines Listenführers in einem Sexismus-Skandal verlustig gegangen und irrt seitdem kopflos herum. Und eine Linke gibt es gar nicht erst. Dafür aber Koalitionsverhandlungen. Wenn man diese anschaut, dann erscheint einem Jamaika in einem ganz anderen Licht – nämlich als Versuch eines großen politischen Projekts aus dem Geist des Streits. Das Projekt, durch Pragmatismus eine fragmentierte Politiklandschaft zu einem Konsens zu bringen, den sie einer ebenso fragmentierten, disparaten Gesellschaft anbietet. Und selbst das Scheitern von Jamaika ist noch eine Wohltat angesichts dessen, was hier in Österreich nicht scheitert. Denn hier verhandeln Rechts und Ganz-rechts, angeglichen bis zur Unkenntlichkeit, eine Koalition der Gesellschaftsspalter aus dem Geist der (Verhandlungs-) Harmonie. Da geht es nicht darum, den Konsens der Gesellschaft auf eine neue Basis zu stellen – sondern darum, der Spaltung der Gesellschaft ein neues Fundament zu geben.
Am deutlichsten zeigt sich das bei der geplanten Umbenennung des Innen- in Heimatschutzministerium. Man muss sich das ganze Programm dieser Umbenennung vor Augen halten. Aus Innen und Außen wird Heimat und – ja, was, Nicht-Heimat, Fremde, Bedrohung. Wozu sollte man sie sonst schützen müssen, die Heimat? Als Minister ist FPÖ-Chef Strache im Gespräch – der Oberheimatschützer.
Daraus ergeben sich folgerichtig auch all jene Maßnahmen zur gesellschaftlichen, oder wie man nunmehr sagen muss: zur heimatlichen Grenzschließung: drastische Verschärfungen in der Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik. Zugleich aber planen die zukünftigen Koalitionäre in aller Harmonie eine scharfe neoliberale Offensive nach bewährter Methode: Entlastung der Reichen bei straffer Kürzung der Sozialleistungen. All das war erwartbar und wurde von einer Mehrheit sehenden Auges gewählt. Deutlich – und alles andere als beruhigend – wird daran zweierlei.
Zum einen, wie leicht das scheinbar Gegensätzliche zusammengeht: Neoliberalismus und Nationalismus. All jenen, die wie Žižek meinen, die Ergänzung des neoliberalen Kapitalismus sei das nette Gesicht der Identitätspolitik, also knallharte Ausbeutung mit gesellschaftlich liberalen Antlitz – all jenen sei gesagt: Enthemmter Kapitalismus verträgt sich auch sehr gut mit dem Gegenteil: Neoliberalisierung der Ökonomie kann auch mit Ressentimentkultur und Nationalisierung der Gesellschaft einhergehen. Offenen Grenzen für Waren und Kapitalflüsse und geschlossenen Grenzen für Migration. An den Flüchtlingen lässt sich diese Paradoxie „ideal“ ausbuchstabieren.
Zum anderen aber wurde genau dieser Widerspruch gewählt. Das war kein Wählerbetrug. Und das ist vielleicht das Bitterste an der ganzen Situation. Es war nicht nur ein Wahlsieg der Rechten – was ja immer auch nur ein punktuelles Ereignis, eine momentane Konjunktur sein kann. In diesem Fall aber war der Wahlsieg Folge einer Verschiebung der Hegemonie, einer Veränderung der Vorherrschaft in den Köpfen. Und das ist ein weitreichenderer Vorgang als nur eine Wahl. Nicht nur, weil sich das, was in den Köpfen festsetzt, so schwer verändern, revidieren, umkehren lässt. Sondern auch weil jene, die nun die Macht haben, diese sofort dazu nutzen werden, all die Institutionen umzukrempeln, die die Hegemonie beeinflussen. Denn etwas so Ungreifbares wie die kulturelle Vorherrschaft in den Köpfen ist durchaus ganz handfest verankert. All das kann nun finanziell und personell umgepolt werden. Die Hegemonie haben heißt deshalb auch, mehr Hegemonie zu erzeugen.
Österreich hat gelingende Koalitionsverhandlungen. Deutschland, du hast es besser.
Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen