: Hier spielt Kultur die entscheidende Rolle
taz geht wählen - Die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Portrait. Wer kämpft um die Mandate? Wer ist Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Bochum I
Bochum?In der Ruhr-Universität erodiert der Beton langsam vor sich hin. Die einst Unabsteigbaren vom VfL Bochum spielen wieder einmal in der 2. Bundesliga. Beim Rennen als Showstadt für die Bewerbung um die Europäische Kulturhauptstadt 2010 wurde man nur Zweiter. Zum ersten Mal wird der Haushalt von der Bezirksregierung nicht genehmigt. Die Blume im Revier scheint langsam zu welken, trotz Jahrhunderthalle und Starlight Express. Das konnte Karl der Große noch nicht ahnen, als er hier um 800 einen Reichshof anlegte. Erst 500 Jahre später erhielt Cofbuokheim vom Grafen Engelbert die Stadtrechte, durfte endlich Bochum heißen. Seit Jahrzehnten werkelt die Stadt an ihrer U-Bahn, stopft Unsummen in ihr Schauspielhaus und versucht sich heldenhaft zwischen Essen und Dortmund zu behaupten. Das Himmelbett für Tauben verlor seine Zechen, seine Stahlwerke, bis auf eine alle Brauereien. Dennoch glänzt die Stadt immer noch: Mit ihrem theatralen Kulturangebot, dem Deutschen Bergbaumuseum, viel Grün um den Kemnader Stausee – und Herbert Grönemeyer. Seit diesem Jahr gehören natürlich auch die Opel-Arbeiter dazu. Wer verteidigt den Wahlkreis?Der einstige Referatsleiter im Kulturbüro und Europapolitiker Axel Schäfer von den Sozialdemokraten. Der 53-Jährige Generalsekretär der Europäischen Bewegung wurde in Frankfurt am Main geboren, lebt aber schon über drei Jahrzehnte im Ruhrgebiet, ist genauso lange verheiratet. Seit 2002 ist er Chef im Wahlkreis 141. Schäfer bekam in Bochum bei der letzten Bundestagswahl normale 57 Prozent, die wird er nicht halten können.Wer will den Wahlkreis?Wieder Marathonläufer Norbert Lammert (56) von der CDU. Der Ur-Bochumer Junge zitierte bei seiner Nominierung im neuen Kongresszentrum Adenauer: „Wir können nicht zaubern, aber hart arbeiten.“ Aber Lammert arbeitet nicht nur hart an seiner Berliner Karriere, er ist auch Kulturmensch, besucht in seiner Heimatstadt Bochum häufig die freie Szene, ist kulturpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion und Kunstkenner. In diesem Jahr gab er den Band „Alles nur Theater“ heraus. Hinter den Kulissen sehen ihn viele bereits als kommenden Bundes-Kulturminister.Die großen AußenseiterGegen die dominanten Herren setzen die kleinen Parteien in Bochum auf Frauen. Die 40-jährige Verwaltungsangestellte Barbara Jung kandidiert für die Grünen und die 22-jährige Studentin der Orientalistik Anna-Lena Orlowski für die Linkspartei. Sie ist seit 2001 Mitglied der PDS und im Landesvorstand der Linkspartei. Beide Frauen wollen soziale Gerechtigkeit, werden aber kaum Chancen haben.Die taz-Prognose?Im Wahlkreis 141 wird es bei den Direktmandaten eng. Axel Schäfer kann eigentlich nur auf den sozialdemokratischen Wahlreflex in Bochum hoffen, wo seine Partei traditionell vorne lag. Norbert Lammert hält auf seinen Wahlplakaten nur eine Aussage für nötig: „Lammert!“