Wellenschlagen, Flammenmeer

Technosphärenklänge im Tiergarten: Das HKW präsentiert unglaubliche Sounds

Von Robert Mießner

Bei meiner Sternengondel! Nach dem – höflich gesagt – routiniert-reservierten Frontalunterricht der Einstürzenden Neubauten am Dienstag in der Berliner Columbiahalle konnte man am Freitagabend im Haus der Kulturen der Welt Farben und Formen hören, von denen man dachte, die gibt’s doch nicht. Da waren Murmeln, die jemand mit großer Vorsicht auf ein Blechtablett hatte gleiten lassen, dar­in plötzlich auftauchend ein metallisches Zischen und das Ächzen eines Baums. Irgendwann geriet eine Art vielgliedriger Reigen daraus. Das Ganze im Surround-Sound, der von vorne in das nach oben aufsteigende Auditorium des HKW und von hinten wieder zurück ins Tal fuhr. Auf der Bühnenleinwand Projektionen, grüne, blaue und rote Patterns, sich wie unter einem Mikroskop verwandelnd. Meeresbrausen und ein Flammenmeer.

Keinerlei Schranken

Eingeladen hatten der US-amerikanische Komponist und Musiker Morton Subotnick, der deutsche Produzent Alec Empire (Atari Teenage Riot, Digital Hardcore) und der Video- und Medienkünstler Lillevan (Rechenzentrum). Anlass war der 50. Geburtstag von Subotnicks Album „Silver Apples of the Moon“, von dem man zu Recht sagt, es sei eines mit Folgen. 1967 auf Nonesuch erschienen und 2014 von dem Berliner Label Karlrecords neu verlegt, handelt es sich um die erste elektronische Komposition, die für eine Platte konzipiert wurde. Subotnick spielt einen mit dem Instrumentenbauer Don Buchla (1937–2016) entwickelten Modular-Synthesizer, dessen Funktionsweise er mit dem Begriff der „musikalischen Palette“ umreißt: ein zunächst leeres Feld, ein Assoziationsraum, idealerweise keinerlei Beschränkungen unterworfen. Das Cover zeigt, was man für eine kosmische Brandung halten kann. Entworfen hat es Subotnicks Mitstreiter Tony Martin, ein Künstler, der von seinen Arbeiten als „visuellen Kompositionen“ spricht; beide waren in den frühen 1960ern aktiv am San Francisco Tape Music Center, einer Nonprofit-Organisation, der auch Terry Riley, Pauline Oliveros und Steve Reich angehörten.

Im Mohnfeld

„Silver Apples of the Moon“: Der Albumtitel geht auf ein Poem des irischen Dichters William Butler Yeats zurück. Mit welchen Bedeutungen man ihn aufladen mag, steht seinen Hörern frei. Gesichert ist, dass sich im Jahr ihres Erscheinens auch das Space-Rock-Duo Silver Apples nach der LP benannte. Mitten in den zu Unrecht geschmähten 1990ern betitelte die Trip-Hop-Band Laika ihr Albumdebüt „Silver Apples of the Moon“. Wer weiß, vielleicht haben sie an die Stelle auf Subotnicks Platte gedacht, da in der zweiten Minute und fünfundzwanzigsten Sekunde ein rhythmisches Morsen einsetzt, welches Ende der 1970er ähnlich im Intro zu „Being Boiled“ von The Human League erklingen sollte: ein pawlowscher Reflex für jeden Synthesizer-Freund!

Deren gab es am Freitagabend mehrere: Vor dem Trio Subotnick, Empire und Lillevan spielte die berlinische Italienerin Caterina Barbieri eine Musik, die anfangs an Tangerine Dream im Mohnfeld denken ließ. Dann wieder schlug ein Uhrpendel, und jäh war es vorbei mit dem Versunkensein. Die anschließende Komposition des belgischen Musikers und Mathematikers Valery Vermeulen sollte eine Reise jenseits unseres Sonnensystems bebildern. Sie kam so geräuschhaft daher, dass befürchtet werden musste, in ein Schwarzes Loch zu kippen.

Das freilich war Fehlalarm. Neben dem HKW steht ein Turmglockenspiel, das Carillon. Angestrahlt, erinnerte es unter dem spärlich bewölkten Nachthimmel an ein Flugobjekt just auf der Durchreise. Dann kam der Bus. Es muss am Tiergarten gewesen sein, als es schien, jetzt heben wir ab.