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Archiv-Artikel

aus der mensa: tai chi, bum beidschi, bum bum … von HARALD KELLER

Die kleine Runde ist beinahe vollzählig versammelt und hat sich von der Abwesenheit Geierschnabels nicht abhalten lassen, mit dem Gabeln und Löffeln zu beginnen. Doch bevor sich das Gatter senkt, das säumigen Mensagästen den Zutritt verwehrt, sieht Droll den Nachzügler heranhinken. „Was ist dir denn passiert?“, will er wissen, „hast du dir eine Krampe in den Rist geschossen?“

„Nein“, seufzt Geierschnabel mit wehleidigem Blick, während er vorsichtig das Tablett abstellt. „Der Facharzt nennt es einen Fersensporn.“ – „Da kannst du deinem Pegasus ja jetzt so richtig die Sporen geben“, hämt Strunk und lacht selbst am lautesten über seinen, nun ja, Witz.

Inzwischen hat sich Droll, was er gern tut, mit Geierschnabels Essensauswahl befasst. „Du und Eintopf?“ Verwundert schielt er über seine Brillengläser. „Aber ja“, erklärt sich Geierschnabel. „Laut Anschlagstafel handelt es sich um einen Korsischen Hirteneintopf. Und bei der Bekämpfung der korsischen Hirtenplage hilft man doch gern mit.“

„Hirtenplage? Was für eine Hirtenplage?“, fragt Babs, die man nie Babsi nennen darf und die nach all den Jahren immer noch Gewöhnungsschwierigkeiten zeigt, was den Humor der Tafelrunde angeht. „Das willst du gar nicht wissen“, geht Hanni dazwischen. Die beiden Damen verstehen sich gut und teilen gewisse Vorlieben, zum Beispiel für Tai Chi, Thai Bo und Tei Gwaren. Die ersten beiden gibt es beim Unisport, Letztere in Drolls Küche. Doch Babs klagt darüber, seit einigen Tagen kein Geschmacksempfinden mehr zu besitzen, und rätselt traurig, ob es wohl irgendwann wiederkehren werde. Die Herren der Runde erweisen sich auch in dieser Frage als mitleidige Kavaliere. „Ist vielleicht das Botox in die Geschmacksnerven gewandert?“, lässt sich Wabble fürsorglich vernehmen. „Ich esse doch gar keine Konservennahrung“, kommt es empört zurück.

„Was ist denn?“, faucht in diesem Moment Droll in Richtung Klumpe, der die ganze Zeit unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutscht, ein sicheres Zeichen, dass ihm noch mehr auf der Zunge liegt als das in die Tagessuppe getunkte Stückchen Brokkoli, das er sich eben zugeführt hat. „Habt ihr das auch gelesen …?“ – „Ja“, antwortet Droll, der mehr eigentlich gar nicht wissen will. Aber Klumpe lässt sich nicht beirren. „Gestern war die ganze Autobahn gesperrt. Da ist schon wieder ein Laster mit irgendeiner klebrigen Flüssigkeit ausgelaufen. Die Autos, die da reingefahren sind, sind richtig stecken geblieben. Und das ist schon das zweite Mal innerhalb weniger Tage.“ – „Das kann ich dir erklären“, antwortet Geierschnabel überlegen. „Diese Unfälle werden von der Regierung gesteuert. Denn das Erneuern der Fahrbahndecke zahlt natürlich die Versicherung des Spediteurs. So bekommen die Gauner günstig die Autobahnen erneuert und sparen jede Menge Steuern.“ – „So ist das also“, staunt der führerscheinlose Klumpe, und nicht mal Droll hat dem noch etwas hinzuzufügen. Womit alle weltpolitisch relevanten Fragen für heute abschließend geklärt wären.

Mittlerweile ist auch die Zeit für den Nachtisch gekommen. „Dessertieren wir?“, fragt Wabble, der sich schon die Lefzen leckt, und die Runde skandiert unisono: „Wir dessertieren.“