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Don’t trust the hype

Streetwear hat, beflügelt von der im Internet herrschenden Lust an Konnotationen, einen rasanten Aufstieg in die Welt der High Fashion hingelegt. Ihr subkultureller Impuls könnte dabei auf der Strecke bleiben

Ein Model in einem Hoodie aus der letzten Herbst/Winter- Kollektion von Vetements Foto: Ian Langsdon/dpa

Von Donna Schons

Es ist ein Donnerstag im August 2016 und in New York City stehen Hunderte in Sweatshirts und Jogginghose gekleidete Jugendliche Schlange, um einen knapp vierzig Euro teuren Backstein zu erwerben. Dabei handelt es sich natürlich nicht um einen ganz gewöhnlichen, sondern um einen Marken-, genauer gesagt einen Supreme-Backstein. Dementsprechend prägt auch ein ikonisches Logo, das im Übrigen den konsumkritischen Plakaten der Konzeptkünstlerin Barbara Kruger nachempfunden ist, seine Oberfläche, und dementsprechend wird er in einigen Tagen für knapp zweihundert Dollar auf eBay gehandelt werden. Supreme beherrscht das Spiel mit dem Hype und der künstlichen Verknappung perfekt. Seit ihrer Gründung Mitte der neunziger Jahre hat die Streetwear-Marke einen derart starken Konnotationscharakter entwickelt, dass sie zum Zentrum einer jungen modischen Subkultur geworden ist.

Einmal wöchentlich verkauft Supreme bei sogenannten Drops neue Waren und bietet dabei neben T-Shirts, Hoodies und sonstiger Kleidung auch solche Dinge wie Essstäbchen, Brechstangen und eben Backsteine an. Online ist das meiste binnen weniger Minuten ausverkauft. Auch in London, New York, Los Angeles und Tokio, Nagoya, Osaka und Fukoka, den einzigen Städten, in denen Supreme eigene Stores besitzt, bilden sich jede Woche aufs Neue lange Schlangen. Es ist Donnerstag, ich kauf’mir Supreme, dichtet der deutsche Cloud­rapper RIN.

Damit bringt er die Konsumhaltung einer Jugendkultur zum Ausdruck, für welche die symbolische Behaftung einer Marke und das damit verbundene Lebensgefühl oftmals eine größere Rolle spielen als die einzelnen von ihr vertriebenen Produkte. Das mag abwegig und verwerflich klingen, doch einer Generation, die umgeben von Memes erwachsen wurde und die unter anderem miterlebte, wie ein traurig dreinblickender Cartoonfrosch aufgrund seiner Alt-Right-Symbolwirkung kurzzeitig die Debatten des US-Wahlkampfs dominierte, wurde die Vorliebe für die Konnotation gegenüber der Denotation wohl schon in die Wiege gelegt.

Luis Dobbelgarten ist Teil dieser Generation. Wie viele seiner modeinteressierten Freunde fand der Siebzehnjährige durch seine Leidenschaft fürs Skateboarden zur Mode. Auf Instagram verfolgen mittlerweile über 32.000 Personen seine Outfit-Posts, und auch er selbst findet seine stilistische Inspiration vor allem durch Instagram-Seiten. Er trägt Gosha-Rubchinskiy-Socken, Supreme-Pullover, Vetements-Schuhe, Off-White-Gürtel und hin und wieder auch mal eine Hose von Opa.

Damit bestehen seine Kleidungsensembles vornehmlich aus Stücken, die zwar stilistisch der Streetwear zugeordnet werden können, sich allerdings preislich durchaus mit der High-Fashion-Branche messen können. Dank einer eigenen Streetwear-Marke und der Produkte, die ihm aufgrund seiner Reichweite gratis zugesandt werden, kann er sich seine kostspielige Garderobe mittlerweile größtenteils selbst finanzieren. Beim Großteil seiner 32.000 Mann starken Gefolgschaft wird das anders sein – und trotzdem scheint gerade diese demografische Gruppe mit ihren Konsumgewohnheiten nicht nur Marken wie Supreme, Palace und Bape, sondern vermehrt auch High-End-Labels umzutreiben.

Als Louis-Vuitton-Kreativdirektor Marc Jacobs im Frühjahr 2013 seine Entscheidung proklamierte, weder den berühmten Monogramm-Canvas noch den schachbrettartigen Darmier-Print über den Laufsteg zu schicken, war allgegenwärtig von einer Logo-Fatigue die Rede. Minimalismus und Understatement waren angesagt, protzige Prints galten in Modekreisen als verpönt. Doch schon bald gewannen die vornehmlich auf dem Smartphone konsumierten sozialen Medien für die Modewelt an Bedeutung und setzten eine nachhaltige Veränderung in Gang. Influencer traten auf den Plan, Schauen wurden durchs Smartphone betrachtet und raffinierte Details und komplizierte Schnitte verloren sich in der Bildwelt des mobilen Internets. Mode wurde plötzlich zweidimensional wahrgenommen, plakative und ironische Setzungen wie die Vetements-Hoodies mit ihren überlangen Ärmeln prägten die Instagram-Feeds, und schon bald kehrten die nuller Jahre mit ihren opulenten Logos zurück. Diese verkaufen sich laut einer von Business of Fashion herausgegebenen Liste 2017 dann auch tatsächlich am besten. Demnach ist das meistverkaufte Luxusprodukt des bisherigen Jahres ein Paar Badeschlappen mit Gucci-Print, dicht gefolgt von Pumps mit Absatz in Form des Yves-Saint-Laurent-Logos, einem Gucci-Gürtel mit Logo-Schnalle und einem Paar Givenchy-bedruckten Badeschlappen.

Streetwear-Labels, die fernab der Modezyklen punktgenau auf Trends reagieren können und deren Expertise zudem traditionellerweise in der Konstruktion von Hypes und dem Verkauf von Lebensgefühlen liegt, sind wie gemacht für diese Entwicklung. „In the concert tour of life, streetwear is the merch“, schrieb der Designer Bobby Hundreds einmal, und Merch-Produkte für ihren sorgfältig konstruierten und öffentlich zur Schau gestellten Lebensstil sind genau das, wonach die junge Generation von Modeinteressierten sucht.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Demna Gvasalia, der zuvor mit Vetements die erste Streetwear-Marke auf die Pariser Fashionweek brachte, im Oktober 2015 zum Kreativdirektor von Balenciaga ernannt wurde und dass in diesem Jahr gleich zwei traditionsreiche Modehäuser ihre erstmalige Kollaboration mit Streetwear-Marken ankündigten: Louis Vuitton mit Supreme und Gosha Rubchinsky mit Burberry.

Beschäftigt man sich jedoch eingehender mit der Geschichte von Streetwear, so bekommen diese Allianzen einen bitteren Beigeschmack. Ende der 80er Jahre aus der schwarzen und lateinamerikanischen HipHop-Community heraus entstanden, verstand sich Streetwear stets als Gegenpol zur etablierten Modewelt. Marken wie Supreme und Stüssy entstanden von und für die Subkulturen der Skater und Surfer und wurden in ihren Anfangsjahren noch zu deutlich günstigeren Preisen vertrieben als heute.

2000 verklagte Louis Vuitton Supreme sogar, weil die Skate-Marke deren Monogramm-Muster appropriiert hatte, heute vermischt sich das Monogramm auf hellblauem Jeansstoff mit dem Supreme-Boxlogo. Burberry ging in den nuller Jahren sogar so weit, Teile mit dem typischen Nova-Check-Muster aus seiner Kollektion zu nehmen, die bevorzugt von der damals von der Regenbogenpresse als Chavs diffamierten britischen Arbeiterklasse getragen wurden. Nun, da Rubchinskiy die Ästhetik der Arbeiterklasse an eine junge und finanziell privilegierte Generation weiterverkauft, findet auch Burberry wieder Gefallen daran.

Der Cat walk wurde durchs Smartphone betrachtet und die Mode dadurch plötzlich nur noch zweidimensional wahrgenommen

Allseitiges Abkupfern

Vorwürfen der Appropriation musste sich in diesem Jahr auch Gucci-Kreativdirektor Alessandro Michele stellen: Für die Cruise-Kollektion des Labels stellte er eine opulente Nerzjacke mit Logo-Puffärmeln vor, die einem Entwurf des New Yorker Designers Dapper Dan zum Verwechseln ähnlich sah. Dieser schneiderte zur Geburtsstunde der Streetwear Jogginganzüge aus Gucci-Canvas-Stoffen, nähte Louis-Vuitton-Blousonjacken – und musste sein Geschäft wenige Jahre später aufgrund von Plagiatsvorwürfen schließen.

Michele erklärte besonnen, dass er seinen Entwurf als eindeutige Hommage an den Designer angefertigt hatte, unterstützte ihn kurzerhand dabei, seine Schneiderei wieder zu eröffnen und machte ihn zum Gesicht seiner neuen Kampagne. Dan darf nun offiziell die Stoffe von Gucci für seine Entwürfe nutzen, eine gemeinsame Kollektion ist in Planung. Mit einvernehmlichem Respekt, das zeigt diese Geschichte, kann die Symbiose aus Streetwear und High Fashion auch positive Effekte haben.

Davon sind auch Maximilian Dörner und Lea Roth überzeugt. Durch den Einzug von Street Style in den High-Fashion-Bereich kommt die Masse wieder zu Wort, so die beiden Designer. Mit ihrem Label Last Heirs, das mit semitransparenten Hoodies und raffiniert geschnittener Workwear die Grenzen der beiden Disziplinen neu auslotet, gehören sie einer neuen Generation von Berliner Designern an, die Mode im Kollektiv neu denken. Die Idee eines Ego-Couture-Designers wie Valentino, der vorgibt, was Mode zu sein hat, ist passé, so die beiden. Die Kids diktieren heute mehr denn je, was cool ist.

Und wenn sie dann von ihrer Vision gegenseitiger Unterstützung aufstrebender Marken und den Spielräumen innerhalb neuer Modehybridformen reden, regt sich die Hoffnung, dass dieses Diktat tatsächlich mehr hervorbringen könnte als bloß ein paar überteuerte Backsteine.

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