: Trauer und Wut
„All we are saying is give peace a chance.“ Klingt in seiner naiven Direktheit heute noch entwaffnend, was John Lennon und Yoko Ono da 1969 sangen. An Dringlichkeit fehlt es den Worten nicht, wohl wissend, dass Wünsche es gern an sich haben, fromm zu sein und zu bleiben.
Die Friedensbewegungszeile Lennons inspirierte auch den New Yorker Produzenten und Wahlberliner Levon Vincent, als er sich an die Arbeit für sein Album „For Paris“ machte. Zuvor hatte Vincent in den sozialen Medien für Ärger gesorgt, als er den Parisern nach den Bataclan-Anschlägen empfahl, sich zu bewaffnen. Jetzt geht er die Sache ruhiger an, beschwört „Only Good Things“ und nennt als Handlungsoption „If We Choose Peace“ – der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass er ebenso „If We Choose War“ erwägt.
Viele der Stücke erinnern an minimalistische Requien, sparsam produziert, mit langsam sich verschiebenden Streicher- oder Klavierpatterns. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. An anderer Stelle überwiegen die optimistisch-peacigen Momente. Dafür klingt Levon Vincent besonders da am überzeugendsten, wo er sich auf seine Fähigkeiten als Schöpfer warm reduzierter House-Hymnen verlässt. Schließlich haben sich die Pariser nach den Anschlägen ja auch aufs Feiern besonnen – und nicht zu den Waffen gegriffen.
Weniger versöhnlich gibt sich die ebenfalls in Berlin lebende Produzentin Ziúr auf ihrem Debütalbum „U Feel Anything?“. Wobei Debütalbum hier heißt: Vorher gab es von ihr gerade mal zwei EPs. Viel bekannt ist nicht über die Musikerin, außer dass sie schon mit diversen anderen Künstlern gearbeitet hat, darunter Peaches.
Was Ziúr besonders spannend macht, ist ihre Unberechenbarkeit, eine Vorliebe für chaotische Arrangements, die aber zugleich eine eisige Kühle und Kontrolle ausstrahlen. Ein wohlberechnetes Chaos mithin. In dem kleine, annäherungsweise freundliche Melodien oder kindlich hochgepitchte Stimmen aufschimmern zwischen mürrisch pochenden Beats, angriffslustigen synthetischen Bläsern und bedrohlichem Gerausche. Auf raue Art erfrischend. Tanzen kann man dazu vermutlich auch, irgendwie.
Tim Caspar Boehme
Levon Vincent: „For Paris“ (Novel Sound), DJ-Set 4. 11., Berghain
Ziúr: „U Feel Anything?“ (Planet Mu), live 30. 11., Berghain
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