die steile these: Wer Wasserabzieher in seiner Dusche verwendet, hat die Kontrolle über sein Leben verloren
Von Linda Tutmann
Das erste Mal benutzte ich einen Wasserabzieher für die Duschkabine bei den Eltern meines damaligen Freundes. Ich war Anfang zwanzig und bei ihnen zu Besuch. Sorgsam hatte mir seine Mutter zwei Handtücher auf die Waschmaschine ins Bad gelegt. Sie dufteten nach Waschmittel und waren flauschig und weich. Ich fand das sehr aufmerksam. Direkt daneben lag er: ein Wasserabzieher. Weißes Plastik, Gummiaufsatz. Mir war klar, es war ein stiller Auftrag, ein dezenter, aber nicht weniger bestimmt: Ich sollte ihn benutzen. Er erinnerte mich daran, wie ich als Kind am Wochenende ab und zu meinen Vater zum Autowaschen zur Tankstelle begleitet hatte. Mit großer Freude hatte ich damals die Scheiben mit einem ähnlichen Abzieher gereinigt. Es waren lustige Ausflüge gewesen, ich hatte keine schlechten Erinnerungen an den Abzieher. Technisch gesehen wusste ich also, was zu tun war.
Nachdem ich mich geduscht hatte, das Wasser herrlich auf mich niedergeprasselt war (ich stand auch das erste Mal unter einer Regendusche), mein Körper sauber und sehr warm, griff ich beherzt nach dem Abzieher. Dazu muss ich sagen, das Bad war schon an sich sehr beeindruckend. Der Boden, gefliest mit schwarzen Schieferplatten, die Duschkabine komplett verglast. Das Bad war den Eltern meines Freundes wichtig, das sah man sofort. Hier wollte ich es mir mit niemanden verscherzen. Pflichtbewusst zog ich Stück für Stück, Bahn für Bahn, die ganze Kabine ab. Von oben bis unten. Drehte mich dabei einmal um 180 Grad. Am Ende glänzte das Glas streifenfrei. Ohne Probleme konnte ich noch in der Duschkabine jedes kleinste Detail im Badezimmer erkennen. Die Farben der Zahnbürsten, die Marke der Waschmaschine, alles war deutlich zu sehen. Ich hatte einen guten Job gemacht – und dennoch fühlte ich mich schrecklich.
Es gibt wohl wenig Unwürdigeres, als nackt in der Dusche zu stehen und das Wasser von den Wänden zu ziehen. Das monotone Auf- und Niederbücken. Die enge Duschkabine, die Gefahr, ständig auf dem nassen Boden auszurutschen. Die Gänsehaut, die signalisiert, dass einem langsam kalt wird. Und ganz ehrlich: Es hat einen Sinn, dass wir Menschen sehr viele Dinge angezogen tun.
Und das hat nicht nur mit den Temperaturen zu tun oder damit, ob man seinen Körper mag oder nicht. Wir tauchen nicht in Flipflops bei einem Bewerbungsgespräch auf, wir streifen uns ein schönes Kleid über, wenn wir auf einer Party eingeladen werden, ziehen mal bei einer Konferenz einen Blazer an. Kleidung verleiht uns Würde, bereitet uns vor. Nackt Wasser abzuziehen macht genau das Gegenteil: Es erniedrigt. Gezwungen zu werden, sich nach dem Duschen, in der engen Duschkabine zu verrenken, das ist ein Machtspiel ohne Zuschauer. Als ich mich endlich in ein warmes Handtuch hüllen konnte, war ich wütend.
Das Bad schien hier, so kam es mir vor, die letzte Bastion der Kontrolle zu sein. Ein völlig neurotischer Perfektionismus, der in dem klaren, tropfen- und kalkfreien Kunstoffglas der Duschkabine gipfelte. Das Bad und auch die Duschkabine, dazu muss man sich nicht in die Geschichte der Hygiene einarbeiten, wurde dafür erfunden, dass es Wasser aushält. Darum gibt es hier keinen Teppich, sondern Fliesen, darum gibt es Duschvorhänge oder eben Plastikkabinen und keine Stoffvorhänge. Ich begriff: Das Glas ist ein Symbol. Eine Art krampfhafte Vergewisserung, alles zu kontrollieren. Ein Hinweis darauf, dass man sein Leben im Griff hat. Dass das eigene Leben so klar ist wie das Glas selber.
Und an keinem Ort der Welt ist Kontrolle so leicht. Das Badezimmer, die Duschkabine sind wahrlich leichte Opfer. Ein Bad entwickelt selten Eigendynamik wie andere Räume der Wohnung – oder gar das Leben draußen auf der Straße. In den wenigsten Bädern hängen Bilder, stehen Obstkörbe oder wuchern Pflanzen. Das Bad ist oft ein steriler Ort. Hier verselbstständigt sich nichts. Hier lebt wenig.
Wer hier seine Zeit darauf verwendet, Duschkabinen streifenfrei von Wasser zu reinigen, oder wer hier kontrolliert, dass es andere tun, wie sehr muss bei so jemandem sonst das Leben durcheinandergehen. Vielleicht schon in den anderen Räumen der Wohnung. Vermutlich draußen vor der Tür. Und ganz sicher in Herz und Geist. Perfide wird es besonders, wenn die Kontrolle auch auf andere Menschen übergreift. Das Bad ist auch ein intimer Raum. Unter der Dusche sind alle Menschen gleich, schutzlos, nackt. Frei von Statussymbolen, eleganter Kleidung oder Make-Up. Etwas mehr Anarchie, etwas mehr Eigenbestimmung wäre gerade hier nicht schlecht.
Vor einer Woche präsentierten wir Ihnen auf dieser Seite 95 steile Thesen und baten Sie uns zu schreiben, welche Sie gerne ausformuliert hätten. Fast 90 LeserInnen antworteten. Die These zu Wasserabziehern gehört zu Ihren Lieblingen. Sieger war aber: „Betrachtet man das politische Wirken von Pfarrerstöchtern und -frauen (Ensslin, Merkel, Petry), bekommt das Zölibat wieder neuen Sinn.“ Der Kollege, der diese These aufstellte, grübelt noch.
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