: Dreifach ausgegrenzt
Ausgestoßen in der NS-Gesellschaft, unter KZ-Häftlingen geächtet und bei Entschädigungszahlungen nach Kriegsende übergangen – soziale Isolation war und ist das Kennzeichen der Wohnungslosen
von Thomas Brunotte
Sie wurden zu Zwangsarbeit verpflichtet, schikaniert, sterilisiert und in Konzentrationslager gesteckt. Dass die Nationalsozialisten auch Obdachlose, Landstreicher, Bettler, Prostituierte und Straßenmusiker systematisch verfolgten, ist bekannt, dennoch hat sich für diese Opfergruppe auch nach dem Krieg kaum jemand interessiert. Als „arbeitsscheu“ oder „asozial“ abgestempelt waren und blieben sie nicht nur in der nationalsozialistischen Gesellschaft, sondern auch in den Haft- und Konzentrationslagern und in der Nachkriegszeit sozial isoliert. Von Entschädigungszahlungen blieben wohnungslose Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft grundsätzlich ausgeschlossen. „Sämtliche Entschädigungsprozesse setzen voraus“, begründete das Landesentschädigungsamt Schleswig-Holstein 1945, „dass der Antragsteller wegen seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung verfolgt worden ist“. Anders als etwa politischen Gefangenen fehlte dieser Opfergruppe eine Lobby oder eine Interessengruppe, die für sie eintrat. Ausgrenzung war und ist das besondere Merkmal dieser Menschen. Erst in den 80er-Jahren Jahren waren in einzelnen Bundesländern Ausnahmen über Härtefallregelungen möglich. Die Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ auf dem Schäferhof in Appen will mit 13 Collagen, aufbereiteten Texten und Bildern den Leidensweg dieser Randgruppe von 1933 bis 1945 ins Bewusstsein rufen.
„Diese Schule ist gut. Der Weichling wird Mann, der Zweifler findet das Leben, alle aber die Erfüllung am eigenen Gesetz: der Pflicht und Verpflichtung“, schrieb das Hamburger Fremdenblatt im August 1935. Gemeint ist die Inhaftierung von „Arbeitsunwilligen“ in einem Arbeitshaus, um staatlichen Druck auf Fürsorgeempfänger auszuüben. „Mögen diese Leute vielleicht auch keine politische Orientierung haben, so fühlen sie doch die Kraft, sich für die Volksgemeinschaft und ein neues Deutschland voll einsetzen zu können“, heißt es weiter im Fremdenblatt. Gemäß der Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 konnte gegen Fürsorgeempfänger geschlossene Anstaltsunterbringung verhängt werden, wenn die Hilfebedürftigkeit in „sittlichem Verschulden“ verursacht war und gleichzeitig angebotene Arbeit beharrlich verweigert oder Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen wurde. Während der Weimarer Republik war die Rechtsprechung jedoch eher liberal, Einweisungen in Arbeitslager erfolgten selten, das System galt vielen als konzeptionell veraltet. Die Nazis machten keinen Hehl daraus, dass sie die alte Gesetzesgrundlage „rechtsschöpferisch“ neu auslegten: „Bei der Beurteilung der Fälle kommt es nicht auf die letzte Bestimmung der einzelnen Paragraphen an, sondern auf die Erfüllung der gesetzlichen Bestimmungen im Sinne der nationalsozialistischen Idee“, heißt es 1937 in einer Aktennotiz der Stadtverwaltung Bremen in Bezug auf eine Beschwerde. Zu beurteilen sei der „Geist oder der Wille, der zu der Tat oder der Unterlassung geführt hat“, nicht die Schwere oder Häufigkeit.
Anfänglich fand das Vorgehen der Nationalsozialisten gegen „arbeitsunlustige Wohlfahrtserwerbslose“ durchaus Akzeptanz in der Bevölkerung, auch bei den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Die Nazis propagandierten mit dem Schlagwort „Wir füttern keine Faulenzer durch!“, die ergriffenen Maßnahmen ermöglichten es, „Arbeitsunwillige von den Arbeitswilligen zu scheiden“. Das System der Pflichtarbeit lebte geradezu davon, schreibt der Historiker Wolfgang Ayaß, dass Fürsorgeempfänger sich mehrheitlich dem Abtransport nicht unterwarfen und „freiwillig“ aus dem Fürsorgebezug ausschieden oder bald eigenmächtig aus den Lagern verschwanden.
Über die Behandlung der Häftlinge im Bremer Teufelsmoor war selbst die nicht gerade zimperliche Hamburger Sozialbehörde entsetzt. „Doch scheint vom Standpunkte hamburgischer Fürsorge aus gesehen, in einigem die Grenzen dessen überschritten, was noch mit der Würde des Menschen vereinbar ist“, kommentierte sie ihren Dienstbesuch im Mai 1938 im Teufelsmoor. Das Wachpersonal war bewaffnet und berechtigt, „Hausstrafen“ auszusprechen: Schreibverbot, Schlafentzug und „Schmälerung der Kost“ auf Wasser und Brot. Es wurde vorgegeben, wie die Freizeit zu gestalten war, gestreifte Gefängniskleidung verordnet und Fluchtverdächtige gekennzeichnet. Unter den Torfarbeiten, vorwiegend alleinstehende oder getrennt lebende Männer, befanden sich auch Gefangene, die zum Zeitpunkt der Festnahme einen festen Arbeitsplatz hatten und selbst überhaupt keine staatliche Fürsorge bezogen. 1939 verbot der Regierende Bremer Bürgermeister den Lagerinsassen den Hitlergruß, um ihnen deutlich zu machen, „dass sie als asoziale Elemente des deutschen Volkes [...] nicht für würdig befunden werden, irgendwelche Äußerungen, die aus der Volksgemeinschaft entspringen, zu machen“.
Ab 1934 waren „Asoziale“ auch das Ziel von Zwangssterilisierungen. Die erbbiologische Reinhaltung des „arischen Volkskörpers“ war ein ideologischer Grundpfeiler des NS-Systems. Nicht nur „artfremde“, sondern auch „arische“ Menschen konnten als minderwertig gelten. Zwar waren Bettelei und Landstreicherei keine im Gesetz genannten Gründe für die Zwangssterilisation, doch die Behörden wichen oft auf die Diagnose „Schwachsinn“ oder „moralischer Schwachsinn“ aus. In den Jahren 1934 bis 1941 wurden beispielsweise im städtischen Krankenhaus Glückstadt mindestens 124 Personen zwangsweise sterilisiert. Der überwiegende Teil, Prostituierte, „Zigeuner“, Alkoholiker und Bettler, kam aus der örtlichen Landesarbeitsanstalt. Ziel dieser massiven systematischen Körperverletzung war die endgültige Beseitigung abweichenden Verhaltens aus der Gesellschaft. „Asozialität“, so gab man vor, sei vererbbar. Der Einzelne wurde im NS-Staat nur in seinem Wert oder Unwert für den „Volkskörper“ betrachtet. „Asoziale“ und „Gemeinschaftsfremde“ zählten daher nicht zur„Volksgemeinschaft“.
Mit der medienwirksam aufgezogenen Verhaftungswelle „Aktion Arbeitsscheu Reich“ ging man 1938 dazu über, so genannte „Nichtsesshafte“ auch in Konzentrationslager zu verschleppen und zu vernichten. Die mit einem schwarzem Winkel gekennzeichneten Obdachlosen nahmen auch in der vom Regime geförderten Lagerhierarchie eine der untersten Stufen ein, wohl aber noch vor Juden und Homosexuellen. Insbesondere politische Häftlinge fassten die Einlieferung von Bettlern und Landstreichern als Schikanemaßnahme ihrer Peiniger auf, der nur ihrer weiteren Herabwürdigung galt. In den Augen marxistischer Ideologie galten diese als „Kumpelproletariat“. Man meinte, es sei leicht korrumpierbar und somit ideologisch nicht gefestigt genug. Man schätzt, dass seit 1938 etwa zehntausend „Nichtsesshafte“ in Konzentrationslager eingeliefert wurden. Oft gaben kommunale Behörden Hinweise, um „asoziale“ Personen zu verhaften. Kommunale Haushaltspolitik, so vermuten Historiker, mag dabei auch eine Rolle gespielt haben: Die Unterbringung im Arbeitshaus wurde von den Kommunen finanziert, für Inhaftierte im Konzentrationslager hingegen mussten sie keinen Pflegekostenzuschuss mehr bezahlen.
„Wohnungslose im Nationalsozialismus“, 15. bis 30. September, „Schäferhof“ Appen bei Pinneberg, Schäferhofweg 30. Montag bis Freitag 9 bis 11.30 und 13 bis 18 Uhr, Samstag 9 bis 11.30 Uhr