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Archiv-Artikel

Virtuos unorthodoxes Parlieren

Annäherung an das schlimme Geschehen: Jonathan Safran Foer liest aus seinem zweiten Roman „Extrem laut und unglaublich nah“

von Alexander Diehl

Mit einer Frage sorgte er dann doch für eine gewisse Irritation auf Seiten des Spiegel-Reporters: „Glauben Sie, dass Terroristen eine Atombombe in New York zünden werden?“ Das war irgendwann 2003, und Jonathan Safran Foer, noch keine 26 Jahre alt und Shootingstar nicht mehr nur des US-amerikanischen Literaturbetriebs, noch längst nicht fertig mit seinem zweiten Roman, Extrem laut und unglaublich nah, den er in diesen Tagen in Deutschland vorstellt.

Genau genommen mochte er damals überhaupt wenig mehr sagen, als dass es – um erklärtermaßen der „starren Form“ des herkömmlichen Romans zu begegnen – in seinem nächsten Werk leere Seiten, Seiten mit Löchern oder auch Daumenkinoartiges geben werde. Und in der Tat kann nun Extrem laut ... mit allerlei typographischen und illustrativen Extravaganzen aufwarten, ist mithin ein schmuck anzuschauendes Buch (was für so manchen Käufer ja durchaus von Belang ist).

Da werden vermeintlich oder tatsächlich falsche Worte mit Rotstift umkringelt, laufen Zeilen ineinander bis zur völligen Unleserlichkeit, dann wieder fehlt jeglicher Absatz; und schließlich findet sich am Ende des Buches auch das versprochene Daumenkino: in normaler Leserichtung durchblättert, fliegt da ein Mann rückwärts von unten nach oben, hinter ihm eine Hochhausaußenwand.

Die naheliegendste Assoziation ist berechtigt: Ja, dieses Buch kann zu den immer zahlreicheren Versuchen gerechnet werden, dem 9-11-Trauma literarisch beizukommen.

Bereits Alles ist erleuchtet, der Debütroman, der Foer zur Sensation werden ließ, war nicht zuletzt auch eine Übung mit dem Verhältnis zwischen spielerischer Form und ernstem Inhalt: eine Art Fabel über ein denkbar wenig heiteres Thema – die Vernichtung der osteuropäischen Juden, vielstimmig erzählt, prismenhaft und zuweilen sogar schwankartig verspielt gesehen durch die Augen eines Nachgeborenen auf Spurensuche.

Da forschte ein junger US-Amerikaner, der durchaus nicht zufällig den Namen des Autors trägt, nach jenem ukrainischen Dorf, in dem seine Vorfahren lebten, bis es von der deutschen Wehrmacht ausradiert wurde – ganz so wie die meisten seiner Vorfahren. Ob dieses Themas (und dessen Spannungsverhältnis zum benutzten Tonfall) fühlten sich da nicht wenige Rezensenten an Roberto Benignis Film Das Leben ist schön erinnert.

Glaubt man Safran Foer, ist Extrem laut ... trotz nicht ganz so überdeutlicher Betonung noch autobiographischer angelegt – und spielt wiederum vor dem Hintergrund einer, wenn nicht gleich mehrerer Menschheitskatastrophen – von freilich deutlich anderem Rang als die Shoah.

Nachdem sein Vater mit tausenden anderer in den Ruinen des World Trade Center eingeäschert worden ist, macht sich der neunjährige Oskar Schell – benannt nach Günter Grass‘ Oskar Matzerath –, eine Art hyperaktiver Holden Caulfield, unablässig Altkluges parlierend, auf die Suche: Auf die Suche nach einem vielleicht gar nicht existenten Menschen mit Namen „Black“ – und nach dem Schloss, in das der Schlüssel passen möge, den er in den Sachen des Toten versteckt gefunden hat.

Verschränkt mit dieser Flucht in den Alltag anderer, diese Odyssee durch ein skurriles New York City, erzählt Foer in weiteren Strängen, die sich mit jenem des kleinen Oskar abwechseln und überlagern, vom Krieg und den Bomben auf Dresden und Oskars nach und nach die Sprache verlierendem Großvater, von Krieg und Flucht.

Dass Foer im Zuge der Nebeneinanderstellung der alliierten Bombardements auf Dresden im 2. Weltkrieg, des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und, eben, den Attentaten des 11. September einen enthistorisierenden, mithin Unterschiede und Hintergründe nivellierenden Effekt erzielt (und Gewalt als eine merkwürdig unfassbare kollektive Erfahrung ohne Ursachen oder Bedingungen zu zeichnen scheint), ist in dieser Zeitung bereits an anderer Stelle angemerkt worden (tazmag vom 27. August).

Er habe keine Pointen oder Botschaften, sagt Jonathan Safran Foer selbst dann und wann über die eigenen Arbeiten, aber der virtuos unorthodoxe Sound seines allenfalls gelegentlich der Selbstverliebtheit verdächtigen Schreibens wiegt das über weite Strecken mehr als auf.

Jonathan Safran Foer, Extrem laut und unglaublich nah, Köln 2005, 470 S., 22,90 Euro.Foers Lesung am Donnerstag, 15. 9., im Literaturhaus war bei Redaktionsschluss bereits ausverkauft