: Die große Uneigentlichkeit
Nach 30 Jahren Bandgeschichte verprellten die Postpunk-Heroen von Pere Ubu mit einem parodistischen Konzert im Quasimodo alle Nostalgiker
VON ANDREAS HARTMANN
Punk fand in den Großstädten statt, in London und New York. Nur hier konnte man sich so richtig als menschlicher Abfall fühlen und dieses Lebensgefühl auch nach außen transportieren. Mit Postpunk schlug jedoch die Provinz zurück, vor allem in den USA. Nun ging es nicht mehr um Zerstörung, sondern darum, sich etwas Eigenes aufzubauen, um rauszukommen aus dem elenden Kaff, in dem man geboren wurde.
Pere Ubu kamen aus Cleveland, ihre ersten beiden Platten „The Modern Dance“ und „Dub Housing“, die Ende der Siebziger erschienen, sind Postpunkklassiker bis heute und das genaue Gegenteil von Punk-Primitivismus. Pere Ubu standen von Anfang an für Intellektualisierung und Kunstschulen-Background – man beherrschte sogar die Instrumente. Der Bandname wurde einem Stück Alfred Jarrys entlehnt, und in den grotesk verqueren Texten bezog man sich auch schon mal auf Baudelaire und Sylvia Plath. Man sagte Ja zum Bildungsbürgertum.
Punk war für Pere Ubu immer nur ein Rahmen, innerhalb dessen alles möglich war. Als Regelwerk wurde er vor allem vom Kopf der Band, dem schon immer überaus charismatischen David Thomas, abgelehnt. Und dem schien es in Berlin erneut größte Freude zu machen, Punknostalgiker zu ärgern. Allein schon die Wahl des Auftrittsortes: das leicht versnobte Quasimodo in Charlottenburg mit seiner komplett unauthentisch wirkenden Jazzkelleratmosphäre. Echte Punks würden eher Heino hören als einen derartigen Ort samt dazu passendem, völlig überzogenem Eintrittspreis zu betreten.
David Thomas zu erleben, ist eigentlich immer herrlich. Schlank war er noch nie, inzwischen ist er bestimmt dicker als Pavarotti. Er füllte den Raum, körperlich und auratisch. Wie er seine Zigarette hielt und dabei wirkte wie Dandy und Riesenbaby zugleich. Wie er beim Singen die Augen schloss, mit den Armen ruderte, als wolle er seinem Publikum auch physisch näher kommen, und sich dennoch kein Stück vom Fleck bewegte. Wie er bei einem Stück sein naturgemäß jeden Gerontologen erfreuende Publikum zu Pogo und Stagediving aufforderte, um daraufhin eine verschrobene Ballade anzustimmen, zu der man beim besten Willen nicht mal mit dem kleinen Finger wippen wollte: Thomas genoss es, seine Entertainerqualitäten ausstellen zu dürfen, und daran mochte man sich gar nicht satt sehen.
Wie die Texte bei Pere Ubu ist auch bei Thomas alles Ironie, Zynismus und Uneigentlichkeit – permanent schien der Mann in sich hineinzuschmunzeln. Und so wirkte der ganze Auftritt weniger wie ein Pere-Ubu-Konzert als vielmehr wie eine theatralische Aufführung eines Pere-Ubu-Konzerts. Der Synthie-Mann entlockte seinem Theremin Pfeifgeräusche, als wolle er direkten Kontakt zu Marsianern herstellen, und der bekennende Beach-Boys-Fan Thomas quäkte dazu wie ein Frosch. Gut, es gab den ein oder anderen punkigen Gassenhauer aus alten Tagen, doch vornehmlich arbeitete sich die Band an einer eklektizistischen Mischung aus Blues und filigranem Experimentalrock ab. Da verschwimmen die Unterschiede zwischen den David-Thomas-Acts immer stärker – zwischen Pere Ubu, seiner Uralt-Band Rocket From The Tombs und ihm solo.
Um wirklichen Retropunk werden sich nun die Bands auf der Popkomm kümmern müssen. Nur schade, dass Pere Ubu nicht im Rahmen der Messe aufgetreten sind: Der komischen Musikindustrie-Nabelschau würde ein Unikat wie Thomas gut zu Gesicht stehen.