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Archiv-Artikel

Peinlichkeit wagen

Young Berlin Artists (YBA): Die 32-jährige Fotografin Rabea Eipperle inszeniert sich auf ihren Bildern gern selbst – in Serie und mit gut gebauten Männern. Gänzlich unverkniffen befragt sie so die Klischees von Geschlechterrollen

Rabea Eipperle steht unter Zeitdruck. Bis Ende September, solange noch Laub an den Bäumen ist, muss sie noch Männer finden, die einen Bierbauch und ein Schrebergartenhaus haben. Und die außerdem bereit sind, sich mit ihr zusammen vorm Häuschen fotografieren zu lassen. Rabea Eipperle ist in Eile, weil die Geburt ihres Kindes eine Fotoserie mit ihrem schwangeren Bauch und verschiedenen Bierbäuchen demnächst unmöglich macht.

Mut zur Peinlichkeit! Eipperle fotografiert Reinszenierungen medialer Klischees von Männern und Frauen. Die Protagonisten findet sie über Annoncen und Aushänge. Sie gibt den Bildaufbau und das Thema vor, fotografiert aber im Lebensbereich der Freiwilligen. „Die Mitwirkenden spielen zwar eine Rolle, aber die hat immer mit ihrer Selbstwahrnehmung zu tun“, erklärt sie, „ich kann schließlich niemanden zwingen zu posieren.“ Sie erstellt immer Serien. Die elfteilige Fotoserie „Mit uns ein Gefühl“ zeigt elfmal Rabea Eipperle auf dem Schoß oder im Arm diverser Bodybuilder. Durch die simple Wiederholung der Versuchsanordnung – verschiedene Männer mit immer derselben Frau – funktioniert das Klischee von dem einen großen starken Mann und den schwachen schutzbedürftigen Frauen nicht mehr richtig.

„Ein einzelnes Bild reicht nicht. Erst die Reihe bewirkt eine Irritation des Rollenmusters konservativer Beziehungskultur“, erklärt sie sachlich. Rabea Eipperle spricht laut und schwäbisch. Ihre Konzeptionen sind indiskret, für sie selbst und andere. Sie kann nicht kontrollieren, wer sich auf ihre Annoncen meldet. Es ist wie beim Trampen. Sie hat sich ein Ziel in den Kopf gesetzt und weiß nicht, mit wem sie dorthin kommen wird. Sie will keine Schauspieler mieten, die Klischees mimen. Sie will die echten Schrebergärtner, die echten Bodybuilder und die stolzen Autobesitzer.

Bei der Akquise für die Serie „Unbekleidet mit Auto“ gab es keine Probleme. Ab morgen kann man im Ausstellungsraum Capri sehen, wer sich auf Eipperles Annonce meldete – für ein Fotoshooting, das nackte Männer auf der Straße vor ihren Autos forderte. „Es ging mir nicht um die Präsentation der sprichwörtlichen Penisverlängerung“, sagt sie. Viel interessanter sei doch zu sehen, wie sich ein Mann mit seinem Auto inszeniert, wenn es zu seinem einzigen Imageträger wird. „Berlin ist für die Suche nach Freiwilligen gerade groß genug“, sagt Rabea Eipperle, die seit dem Jahr 2001 in Berlin arbeitet.

Sie studierte freie Kunst in Hamburg und wollte danach in eine andere Stadt. In Berlin erhielt sie 2003 das „Goldrausch“-Stipendium, ein feministisches Projekt, das sich der Vernetzung und Unterstützung von Künstlerinnen in Berlin widmet. „Das Netzwerk funktioniert gut, aber ich bin mit meiner Arbeit nicht fixiert auf Berlin.“

Als sie in L. A. Vorträge zu ihren Fotos hielt, kreischten die Anwesenden: „Oh, this is very german!“ Natürlich, Nackte auf der Straße sind in Amerika unmöglich. „Ich hatte den Eindruck, meine Arbeiten werden als typisch deutsche Marke betrachtet, so wie Rammstein – also irgendwie brutal.“ Tatsächlich sind Eipperles Bilder von monströser Alltäglichkeit, nicht kryptisch, allgemein verständlich. Folgerichtig erfreuen sie sich großer Beliebtheit.

„Auf Dauer hilft Popularität aber nicht darüber hinweg, keine Galerievertretung zu haben“, sagt sie lakonisch. Solange sie von ihren Fotos nicht leben kann, jobbt sie zusätzlich. Und forscht weiter im Feld feministischer Identitätskonstruktion, schlüpft in immer wieder andere Rollen, identifiziert sich – und bricht doch ganz lächelnd das Diktat der Authentizität: „Bilder können keine Kritik am Frauenbild sein, aber man kann mit Bildern Gesellschaft kommentieren.“

Rabea Eipperle, „Unbekleidet mit Auto“. In der Galerie Capri, Brunnenstr. 149, bis 1. 10., Do.–Sa. 16–19 Uhr