: Mit 16 hat man schon Stimme
Ab dem kommenden Jahr dürfen auch 16-Jährige auf kommunaler Ebene wählen. Alle Parteien mit Ausnahme der CDU befürworten die Verfassungsänderung – doch jede begründet dies anders
VON MATTHIAS LOHRE
Es ist schon erstaunlich: Nach Jahrzehnten des ideologischen Hickhacks beschließt das Abgeordnetenhaus heute das kommunale Wahlrecht für Jugendliche ab 16 Jahren – und kaum jemand regt sich noch darüber auf. Vier von fünf Parlamentsfraktionen werden für die Verfassungs- und Gesetzesänderung stimmen. Nur in den Begründungen sind sich die BefürworterInnen weniger einig.
Auf den ersten Blick birgt der Fall wenig Zündstoff: Es geht lediglich um 62.000 junge Menschen, die im nächsten Jahr zum ersten Mal an den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen teilnehmen dürfen. Dazu zählen nicht nur Jugendliche mit deutschem Pass, sondern auch junge EU-BürgerInnen. Insgesamt sind dann 2,5 Millionen der 3,4 Millionen BerlinerInnen wahlberechtigt.
Doch bei der Anzahl der zusätzlichen Wahlberechtigten fangen die Unterschiede zwischen den BefürworterInnen an: Der Vorsitzende der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, Jörg Tremmel, sieht im Wahlrecht ab 16 eine Stärkung der jungen Generation. Das werde immer nötiger angesichts des immer größer werdenden Anteils älterer Wahlberechtigter.
Tremmels Argumentation findet der Jugendforscher Klaus Hurrelmann zwar „gut nachvollziehbar“. Aber dies dürfe nicht das entscheidende Argument sein. Der Professor für Gesundheits- und Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld führt vor allem die frühere Reife der Jugendlichen ins Feld: „Junge Frauen und Männer sind heute früher als vor zwei Generationen in der Lage, sich auf einer guten Informationsbasis an einem politischen Wahlakt zu beteiligen.“
Die Grünen argumentieren anders. Deren jugendpolitische Sprecherin im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop, sagt: „Jugendliche brauchen eine Lobby.“ Für etwas, auf das sie keinen Einfluss haben, ließen sich Jugendliche nur schwer interessieren. Eine Diskussion über das Wahlalter hält sie hingegen für irreführend: „Da könnte man genauso gut fragen, warum der 90-Jährige wählen darf.“ Die Grünen wollen langfristig auch ein Wahlrecht für 14-Jährige durchsetzen – auch auf Landesebene.
So weit will Christa Müller bei aller Gemeinsamkeit noch nicht gehen: „Machen wir doch den ersten Schritt vor dem zweiten“, sagt die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Wenn Jugendlichen Verantwortung gegeben wird, dann nehmen Jugendliche sie auch an.“
Einzig die CDU-Fraktion beharrt auf ihrem Nein zum Wahlrecht ab 16. Ihr jugendpolitischer Sprecher, Sascha Steuer, sagt: „Die Absenkung des Wahlalters kann kein Selbstzweck sein, immerhin geht es bei Wahlen um die Grundfesten unseres Allgemeinwesens.“ Außerdem hätten die Gesetzesänderungen in anderen Bundesländern nichts gebracht. In Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gibt es das Wahlrecht schon. Nur ein geringer Prozentsatz der 16- und 17-Jährigen gehe dort zur Kommunalwahl.
Diese Behauptung will Geert Baasen nicht im Raum stehen lassen. „Etwa 60 Prozent der Berliner Erst- und Jungwähler geben bei Wahlen zu Bezirksverordnetenversammlungen ihre Stimme ab“, sagt der Leiter der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters. Damit liegt diese Gruppe nur knapp unter dem WählerInnen-Durchschnitt – und sogar über dem der nächstälteren Gruppe der Über-25-Jährigen. Baasens Begründung: „Erst- und Jungwähler sind neugierig auf ihre neuen Möglichkeiten.“ Deshalb deute nichts darauf hin, dass deutlich weniger 16- und 17-Jährige zur Wahl gingen als Menschen zwischen 18 und 25 Jahren.