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Archiv-Artikel

Bruder gesteht Mord an Hatun Sürücü

Am ersten Tag des Ehrenmordprozesses hat der jüngste Bruder überraschend gestanden, seine Schwester erschossen zu haben, weil ihm ihr Lebenswandel nicht passte. Er will die Tat allein begangen haben. Staatsanwaltschaft glaubt an Gemeinschaftstat

VON SABINE AM ORDE

Sieben Monate lang hat er geschwiegen oder die Tat beharrlich bestritten. Gestern, zu Beginn des Prozesses im Mordfall Hatun Sürücü, hat ihr jüngster Bruder Ayhan die Schuld auf sich genommen. „Ich habe meine Schwester getötet. Ich habe die Tat alleine begangen. Niemand hat mir dabei geholfen“, heißt es in der Erklärung, die sein Anwalt im überfüllten Saal des Landgerichts verliest.

Ayhan, ein ernst wirkender, schmaler junger Mann mit kurzem dunklem Haar, sitzt gemeinsam mit zwei seiner Brüder hinter dicken Glaswänden. Er blickt stumm geradeaus, während sein Anwalt spricht. Mit 19 gilt der Kurde als Heranwachsender – was sich mildernd auf das Strafmaß auswirken wird.

Auch der Staatsanwalt geht davon aus, dass Ayhan geschossen hat. Verantwortlich für die Tat aber soll nicht er allein, sondern sollen insgesamt drei Brüder gewesen sein. Gemeinsam sollen sie beschlossen haben, ihre 23-jährige Schwester zu töten, weil sie ihren Lebensstil als Kränkung der Familienehre empfanden.

Denn Hatun, die mit 15 gegen ihren Willen von ihren Eltern mit einem Cousin in der Türkei verheiratet worden war, beugte sich ihrem Schicksal nicht. Sie trennte sich von ihrem Mann und kehrte nach Berlin zurück. Hier begann sie eine Lehre, legte das Kopftuch ab, hatte einen deutschen Freund. Das gefiel der Familie nicht. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll deshalb der älteste der drei Brüder, Mutlu (26), eine Waffe besorgt und Alpaslan (24) bei der Tat Schmiere gestanden haben.

Das wies Ayhan gestern zurück. Die Waffe samt Munition habe er selbst für 800 Euro bei einem Russen am Bahnhof Zoo gekauft, zu seiner Schwester sei er alleine gefahren. In Hatuns Wohnung gab es Streit, dennoch begleitete sie ihren Bruder zur nahe gelegenen Bushaltestelle. Als die Schwester auf dem Weg dorthin „Ich ficke, wen ich will“, gesagt habe, da habe er die Waffe gezogen und abgedrückt. Drei Schüsse trafen die junge Frau in den Kopf. Sie war sofort tot.

Ihm sei schon früher der Gedanke gekommen, seine Schwester zu töten, heißt es in Ayhans Geständnis. Besonders die „oft wechselnden“ Beziehungen zu Männern, die für ihn „Kriminelle und Drogendealer“ waren, stießen ihn ab. Diese hätten auch einen schlechten Einfluss auf Can, Hatuns Sohn, gehabt, der heute sechs ist und bei Pflegeeltern lebt. Ihn wollte Ayhan nach der Tat gemeinsam mit seiner Freundin aufziehen.

Ayhans Freundin, die 18-jährigen Melek A., wird eine Schlüsselrolle in dem Prozess spielen. Sie wusste von der Tat und hat bei den Ermittlern eine umfassende Aussage gemacht. Sie wird am Montag als Zeugin vernommen. Auch davon wird es abhängen, ob die Staatsanwaltschaft den drei Brüdern trotz Ayhans Geständnis einen gemeinsamen Ehrenmord nachweisen kann. Die beiden anderen Brüder jedenfalls bestreiten, an der Tötung ihrer Schwester beteiligt gewesen zu sein. Entsprechende Erklärungen verlasen ihre Anwälte.

Neben den drei Brüdern saß gestern noch eine andere Sürücü im Gerichtssaal – allerdings auf der Seite der Kläger. Hatuns jüngere Schwester Arsu hat eine Nebenklage gegen ihre Brüder eingereicht.

Den Prozessauftakt verfolgte im Zuschauerraum auch der kurdischstämmige PDS-Abgeordnete Giyas Sayan. Er kann nicht glauben, dass Ayhan allein für die Tat verantwortlich ist. Neben familiären kurdischen Stammestraditionen vermutet er auch islamistischen Einfluss hinter der Tat. Denn die drei Brüder, so Sayan, hätten nachweislich Kontakt zu der inzwischen verbotenen Organisation Hizb ut-Tahrir gehabt.