: Kein System, bloß Ideen
SUBKULTUR Handgemachte Zeitschriften statt Blogs: Das Zine findet auch in Berlin immer mehr Liebhaber. Denn jeder, der schreiben kann und Lust hat, zu basteln, kann sich des traditionellen Mediums bedienen
„Zines are for everyone!“, sagt Zinefest-Veranstalterin Halley Murray. All jene, die sich die liebevollen Arbeiten von Zine-Machern aus diversen Ländern Europas anschauen oder bei einem der Workshops selbst aktiv werden wollen, haben am Wochenende die Gelegenheit. Ohne Eintritt (Spende), Anmeldung und Teilnahmegebühr kann man beim Zinefest in den Mehringhöfen das Buchbinden, Comiczeichnen und Hologramme basteln lernen.
■ Zinefest: Mehringhöfe, Gneisenaustraße 2a. Sa. & So. 12–20 Uhr
VON FATMA AYDEMIR
Eine Zeitschrift in Dreiecksform, deren Vorder- und Rückseite man aufklappen kann, um sie als Pyramide aufzustellen. Eine haptische, dreidimensionale und sehr hübsche Arbeit ist das, die sich nicht ins Digitale übersetzen lässt. Es handelt sich um die zehnte Ausgabe von Infecticitis, der handgemachten und selbst geschriebenen Zeitschrift der Künstlerin Halley Murray. „Es hat ewig gedauert, bis ich hundert Stück davon kopiert, ausgeschnitten und zusammengetackert habe. Deshalb kostet sie auch 2,50 Euro, also mehr als die anderen Ausgaben.“
„Zines“ – so nennt man die in Kleinstauflagen im Eigenverlag herausgegebenen und meist in Handarbeit produzierten Magazine – haben eine lange Tradition, die bis zur Erfindung des Buchdrucks zurückreicht. Besonders populär wurden sie jedoch in der Gegenkulturbewegung der 60er Jahre, als Sprachrohr für jene, die etwas zu sagen hatten, aber deren Stimmen den Mainstream nicht erreichten. Auch Fußballfans, Punks und Riot Grrrls bedienten sich des Mediums, um persönliche Erfahrungen, politische Positionen oder einfach nur kleine Geschichten aus dem Alltag mit dem Leser zu teilen.
Vor drei Jahren ist Halley Murray nach Berlin gezogen. Sie kommt aus Boston, wo das Zinemachen nichts Außergewöhnliches ist. Es gibt dort sogar eine Zinebibliothek, in der alle Autoren der Stadt ihre Hefte archivieren. Letztes Jahr hat Murray das erste Zinefest in Berlin initiiert. Dafür bekam sie so viel positive Resonanz, dass sie nun ein größeres Team um sich geschart hat, mit dem sie das diesjährige Zinefest am kommenden Wochenende in den Mehringhöfen organisiert. Aufgeregt wedelt Murray immer wieder mit den Armen: „Das erste Zinefest war unglaublich. So viele Leute waren beeindruckt von der Kultur, viele fingen selber an, Zines zu produzieren. Sie sagten danke und dass Berlin so etwas unbedingt brauche!“
Tatsächlich ist es verwunderlich, dass es so lange gedauert hat, auch in Berlin eine Szene für das Zine zu erschließen. Wo die Stadt doch so offen für Subkulturen und künstlerischen Ausdruck ist. Denn das Schöpferische spielt eine wesentliche Rolle beim Zine. Anders als bei herkömmlichen Magazinen geht es nämlich weniger um den Informationsgehalt. Comics, Collagen und auch die Form des gesamten Hefts haben erzählerischen Anspruch. Das Unperfekte, das sich in der Aufmachung, der eigenwilligen Grammatik und der absoluten Subjektivität des Autors zeigt, hat etwas sehr Inspirierendes. „Wenn ich dir mein Zine gebe, fühlt es sich so an, als würdest du mein Leben in deinen Händen halten. Und das ist völlig okay, denn beim Zinemachen geht es immer auch um das Teilen“, erklärt Halley Murray.
Wenn Murray ein Zine entdeckt, das ihr gefällt, dann kauft sie gleich zehn davon, um sie weiterzuverbreiten. Wenn es ausverkauft ist, dann fotokopiert sie es und verkauft es zum Kopiepreis. Es gibt kleine Verlage, die Zines auf Veranstaltungen wie dem Zinefest vorstellen und verkaufen, doch gibt es in der Szene kein organisiertes Vertriebssystem. Man kann Zines in kleinen Comicläden finden oder sie sich direkt vom Autor zuschicken lassen. Zugegeben, im digitalen Zeitalter klingt das alles ein bisschen nach vorgestern. Es ist ähnlich wie mit der Vorliebe für Vinyl, die logisch kaum zu begründen ist, wo wir doch heute durch MP3 auf die Nutzung der materiellen Ressourcen nicht mehr angewiesen sind.
Das Zine gilt als analoges Vormodell des Blogs. Es funktioniert in ähnlicher Weise: Es sind die Ideen und Bilder, die zählen. Formregeln gibt es keine, höchstens ein Thema, das als Leitfaden alles zusammenhält. Doch lässt sich das Handwerk des Zines eben selten ins Internet übertragen. Hinzu kommt sein Raritätsstatus. Während man auf Blogs so häufig zugreifen kann, wie man möchte, findet man ein Zine eher zufällig und kann es verlieren, wenn man nicht aufpasst.
Und das Schönste am Zine: Es ist nicht dem selbst ernannten Virtuosen vorbehalten. „Jeder, der einen Stift halten kann, kann sein eigenes Zine machen“, sagt Halley Murray, die für das Zinefest auch Workshops geplant hat. Dort kann man sich von langjährigen Zinemachern im Comiczeichnen, Buchbinden, Hologrammebasteln und Texteschreiben unterrichten lassen, kostenlos und ohne Anmeldung. Zudem wird es Stände von Autoren und Kleinverlagen aus England, Italien, Spanien und Litauen geben. Das Spektrum der ausgestellten Zines reicht vom Art-Zine bis zum Musik-, Queer- und Anarchisten-Zine. Grenzen gibt es keine. Davon lebt das Zine, genauso wie vom Selbermachen.