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MacHeath macht mit zu vielen Frauen rum, am Schluss wird er gehängt

40 Jahre Neuköllner Oper: Zum Jubiläum hat sich das kleine Opernhaus von dem Komponisten Moritz Eggert neue Musik zu der „Bettleroper“ schreiben lassen – dem Stück, mit dem das Haus vor drei Jahrzehnten seinen wohl größten Erfolg feierte

Von Katharina Granzin

Es ist ja immer schön, die alten Zeiten zu feiern. Und wenn man, so wie die Neuköllner Oper, ein ­Jubiläum hat, gar schon seit vier Jahrzehnten existiert – so ungefähr jedenfalls –, so liegt es nahe, sich dafür eines Stückes zu erinnern, das seinerzeit geradezu legendär wurde und (gefühlt?) jahrelang lief. Unter anderem deshalb, weil viele mehrmals hingingen, um sich die „Bettleroper“ anzusehen, die, gegen Ende der achtziger Jahre, den Beginn der Glanzzeit der Neuköllner Oper markierte.

Deren Gründer Winfried Radeke hatte die ballad opera aus dem 18. Jahrhundert aus der Versenkung geholt und neu für das kleine Wanderbühnentheater eingerichtet, das er „Neuköllner Oper“ genannt hatte. Als Gegenbewegung zur Hochglanzkultur der Westbezirke sollte das verstanden werden. Auch Neukölln, das damals ein düsterer, nachts sehr schlecht beleuchteter, hipster- und hoffnungsloser Fleck Erde war, sollte seine eigene Kultur bekommen.

Es passte perfekt zusammen. Denn auch das alte Stück von John Gay und Johann Christoph Pepusch war als volkstümliches Gegengift zum damals schon hochgetunten Londoner Opernbetrieb entstanden, in dem Händel der puderperückte Komponist der Stunde war und die italienischsprachige, „hohe“ Form der Opera seria blühte.

Im 20. Jahrhundert machten Brecht/Weill aus der bahnbrechenden Vorlage von Gay/Pepusch die „Dreigroschenoper“, über der das Original ein bisschen in Vergessenheit geriet. Jedenfalls auf deutschsprachigen Bühnen. Bis die Neuköllner Oper …

So weit die Geschichte. Die Gegenwart geht so: Um nicht immer olle Kamellen zu kauen, sie aber doch zu würdigen, beauftragt die Neuköllner Oper den Komponisten Moritz Eggert, sich zur „Bettleroper“ eine neue Musik auszudenken. Und am besten einen Text gleich dazu, das spart den Librettisten.

Schon schlagermäßig

Eggert ist ein Komponist ohne Berührungsängste. Etabliert in der Neue-Musik-Szene, scheut er auch keineswegs das Volkstümliche und wird gern für Events gebucht. Für den Wiener Opernball kreierte er ein „Fußballballett“, er komponierte auch schon Kammermusik für Schreibmaschinen und erklärt, man könne im Prinzip auch Musik für einen Koffer schreiben. Auch die In­stru­men­ta­tion für die „Bettleropera“ ist durchaus innovativ. Ein Cello, zwei Blockflöten und eine E-Gitarre sind die Grundausstattung für die vier MusikerInnen vom „Freiraum Syndikat“, die zwischendurch auch mal zur Barockvioline oder zur Melodica greifen.

Das ist alles sehr professionell gemacht und ausgeführt, und würde man die Augen schließen, hätte man vielleicht sogar mehr vom Abend. Wenn man denn gern Musicals hört. Eggert bedient das Genre gut, schreibt mal schön schlagermäßige Gesangsnummern hinein, die das Satirische manchmal nur am Rande streifen, mal laute Gassenchöre, die mehr Energie entfalten könnten, wenn sie besser gesungen wären. Zu selten treiben Tanznummern das Ensemble zu gemeinsamer rhythmischer Bewegung.

Was für ein Jammer das eigentlich ist, sieht man in der Pause. Vermutlich aus Gründen der Kulturförderung (Europa und so) hat man nämlich ein italienisches Ensemble engagiert, um die „Bettleropera“ aufzuführen. Die Truppe Balletto Civile, die den Großteil der DarstellerInnen – und die Regisseurin/Choreografin Michela Lucenti – stellt, ist vor allem bekannt für ihr Bewegungstheater. Wie grandios sie sich tatsächlich bewegen können, zeigen sie vor allem als Pausenfüller. Während das Publikum mit Alkohol in der Hand in den Ecken des Saales lehnt, improvisieren die italienischen Körperkönner in der Pause Flicflacs und kleine getanzte Solonummern. Das ist sehr schön; und umso mehr ist es schade, dass die Choreografien des Stückes selbst so banal daherkommen, dass wohl auch ein Kurs der Volkshochschule Neukölln sie hätte nachtanzen können.

Fickszenen, artistisch

Anders allerdings als die zahlreichen, wahrscheinlich oft sehr anstrengenden artistischen kleinen Fickszenen, die das Bühnenseitengeschehen dekorieren. Das Ganze spielt ja im Hurenmilieu, und deshalb sind die Frauen auch alle sehr leicht bekleidet. (Was tanztechnisch durchaus ein Vorteil ist, denn die Männer müssen im Anzug tanzen.)

Da die italienischen DarstellerInnen nicht so gut Deutsch können, wird zu einem großen Teil italienisch auf der Bühne gesprochen. Manchmal englisch, manchmal deutsch. Zweisprachige Übertitel fangen die babylonische Mischung nur teilweise auf. Die Identifizierung der einzelnen Figuren wird dadurch nicht leichter, zumal eigentlich alle beinahe durchgehend die Bühne bevölkern und es zu wenige Zwischentexte gibt, als dass eine wirklich durchgehende Handlung erkennbar werden könnte.

Diese „Bettleropera“ ist eine durchkomponierte Nummernrevue ohne Personenführung. Möglicherweise hatte man sich ja gedacht, da ohnehin alle Welt das Stück kenne, sei es überflüssig, es noch einmal mit echter Handlung zu belasten. Ja, es gibt einen MacHeath, und einen Peachum, und eine Polly und so. Und MacHeath macht mit zu vielen Frauen rum, und am Schluss wird er gehängt, aber doch wohl nicht deswegen?

Dafür kann er sehr schön singen, also sein Darsteller Christopher Ciraulo. Leider so ziemlich als Einziger. Auch Sophia Euskirchen als Lucy bringt beträchtliche stimmliche Energie auf die Bühne. Die anderen geben sich Mühe mit unterschiedlichem Erfolg.

Ein langweiliger Abend ist es immerhin nicht. Das liegt wohl am ehesten an der Musik. Aber Vorwende-NostalgikerInnen sollten sich hüten, zu denken, diese „Bettleropera“ habe irgendetwas zu tun mit Gays/Pepuschs/Radekes „Bettler­oper“ von damals. Vergangen ist vorbei und kommt nicht wieder.

La Bettleropera, wieder am 22./26.–29. Oktober und weiter im November

40 Jahre Neuköllner Oper, Erinnerungen, So., 12. November, 11 Uhr

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