berliner szenen
: Fehl am Platz mit all den Babys um mich rum

Ich suche einen Platz, um Kaffee zu trinken in der herbstlichen Sonne am Sonntag. Ich fühle mich verkatert und ungepflegt, obwohl ich geduscht habe. Auf der sonnigen Straßenseite sehe ich nur Spielkasinos, geschlossenen Läden, alte Möbelstücke, Müll. Eine Frau küsst einen Mann, er trinkt ein Schluck Sterni. An der Ampel wartet eine Frau mit drei Hunden, die Pullis tragen. Am Späti trinken Männer ihr Frühstücksbier. Alle sehen so fertig aus wie ich, heute gehöre ich dazu.

In der Hermannstraße gibt es ein Hipstercafé mit Terrasse. Viel besser zu meiner Stimmung passt die billige Bäckerei um die Ecke. Die weißen Bänke sind aber alle belegt. Ich laufe die Herfurtherstraße entlang, und endlich finde ich einen Tisch in der Sonne. Ich bestelle Kaffee, schwarz, und rauche. Fehl am Platz mit all den Babys um mich herum.

„Zweimal Kaffee ohne Alkohol!“, scherzt der Kellner. „Oh, thank you!“, antwortet eine rothaarige Frau. Neben mir unterhalten sich zwei Freundinnen über Kosmetiker und Beziehungen. Ich wünsche, ich würde mich auch leicht und frisch fühlen, aber es gelingt mir nicht.

Kinder mit bunten Drachen ziehen Richtung Tempelhofer Feld. Ich überlege dahin zu gehen, und doch begebe ich mich zur U8. Am Gleis sehen die Menschen so aus, als hätten alle bis jetzt Party gemacht.

Da kommt der blonde Dichter, dessen Haare wie eine alte Perücke aussehen, der spontane Gedichte gegen Spende schreibt. Heute spricht er mich nicht an. Umso besser.

In der U-Bahn unterhält er sich auf Französisch mit einer jungen Frau und flüstert ihr ein Gedicht zu, irgendwas mit „Antiapocalyptique“. Sie korrigiert seine Aussprache und sagt, sie müsse am Kotti aussteigen. Er steigt mit ihr aus, und die beiden reden noch, als die U-Bahn losfährt. Sie lächelt und strahlt. Ich fahre weiter, ich weiß noch nicht wohin.

Luciana Ferrando