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Archiv-Artikel

Koalitionsgedöns

betr.: „Die Ampel leuchtet“, taz vom 14. 9. 05

Ist eigentlich noch niemandem aufgefallen, dass eine schwarz-grüne Koalition in den Umfragen seit einer Woche eine Mehrheit hat (übrigens ganz im Gegensatz zur Ampel, die aber dafür umso mehr diskutiert wird). Mir ist selbst klar, dass das Fenster für ein solches Bündnis nur sehr klein ist – nämlich genau um den Faktor, den die Grünen vor der FDP landen, aber wollen sich denn Presse und Wahlforschung wirklich schuldig machen, eine nach dem 18. mögliche neue Koalition noch nicht einmal angedacht zu haben? Oder hofft man stillschweigend auf sie, will aber – wie die beteiligten Parteien – die Wähler im Vorhinein nicht verprellen?

Ich halte die Grünen in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen für sehr viel eher kompatibel mit der CDU als die SPD (die ja schon dem Kanzler das Vertrauen entzog). Gut, die CDU müsste wohl auf längere Reaktorlaufzeiten verzichten, die Grünen auf einen Umweltminister Trittin, dafür wären Kopfpauschale und Einheitssteuersatz wohl erst mal abgewendet. Interessanterweise sind ja scheinbar urgrüne Positionen vor Zeiten von der CDU miterfunden bzw. vertreten worden (vgl. Bürgerversicherung, Ökosteuer), die Kristallisationspunkte der kommenden Koalitionsverhandlungen sein könnten. Ich wohne ja in einer Stadt, in der eine viel beachtete schwarz-grüne Koalition auf kommunaler Ebene relativ friedlich über die Runden kam. Dieses „Experiment“ wurde durch starke CDU-Verluste in der letzten Wahl allerdings beendet. Einer der Architekten dieses Bündnisses sitzt übrigens inzwischen im Bundestag (Bietmann) und harrt mit Sicherheit darauf, von seiner Hinterbank nach vorne gespült zu werden. Wie ich ihn kenne, wird er dabei sicherlich nicht nur abwarten: Ergibt sich am 18. eine rechnerische schwarz-grüne Mehrheit (und natürlich keine schwarz-gelbe), so wird er mit Sicherheit ein solches Bündnis forcieren und den anderen die große Koalition ausreden – wenn das denn überhaupt nötig ist.

Nicht, dass ich hier in den Verruf komme, die Schwarzen an der Macht sehen zu wollen, möglicherweise würde eine solche Koalition aber helfen, die FDP mit ihrem doch größtenteils unsäglichen Personal zu einem grundlegenden Neuanfang zu zwingen. Die SPD auf der anderen Seite entginge einer Zerreißprobe, der sie eventuell nicht gewachsen ist. Natürlich bekämen die Grünen Ärger mit einem Teil ihrer Wählerschaft und Angie mit diversen Landesfürsten. Zumindest Letzteres ist aber eh nur eine Frage der Zeit. Für einen Kanzler Schröder scheint diese tatsächlich abgelaufen. Ein Außenminister indes muss nicht von der stärkeren Koalitionsfraktion stammen. So bliebe doch eventuell noch ein Plätzchen auf der Regierungsbank für ein tot geglaubtes Alphatierchen. JÜRGEN HERMES, Köln

Den Politologen Franz Walter lese ich immer wieder gern. Vielleicht hat er sogar Recht. Ich erinnere aber an Seehofer (CDU), der nach seinem Abgang von der bundespolitischen Bühne meinte: „Wer Frau Merkel unterschätzt, hat schon verloren!“ Vielleicht gilt das auch für Franz Walter und Gerhard Schröder. Vielleicht nämlich konstruiert Frau Merkel zurzeit still hinter den Kulissen eine schwarz-gelb-grüne Koalition. Eine solche Koalition könnte „effektiv durchregieren“.

Die Grünen haben sich durch Hartz IV als neoliberal verlässlich empfohlen, Umweltschutz ist seit Hurrikan „Katrina“ sowieso wieder salonfähig. Und für eine Regierungsbeteiligung schlucken die Grünen und die FDP jede Kröte, die ihnen Merkel vorsetzt.

Jedoch: Vergesst den 18. September! Denn: Sachsen entscheidet. Und dort wird erst am 2. Oktober gewählt. Zum Ärger für Stoiber entscheidet nicht Westdeutschland, sondern „das Tal der Ahnungslosen“ (Spitzname für Sachsen zu DDR-Zeiten, weil dort kein West-Fernsehen empfangen werden konnte) über die Regierungskoalition in Berlin. Ein schöner Beitrag zum „Tag der deutschen Einheit“.

In Sachsen sitzt die NPD im Landtag. Und vielleicht wird in Sachsen jetzt Die Linke. PDS stärkste Kraft. Wer sich für Koalitionsspielchen interessiert, darf noch lange gespannt sein.

MICHAEL DÜRRWÄCHTER, Hamburg