berliner szenen: Voll geschrottet, die Karre
An einem Samstag um 1 Uhr ist der S-Bahnhof Westend wie ausgestorben. Der nächste Bus kommt erst in einer halben Stunde. Zwei Teenager kommen die Straße rauf, sehen sich die Abfahrtszeiten des M45ers an und setzen sich anschließend neben mich auf die Wartebank.
„Lass mal reden, um Zeit totzumachen“, sagt der eine und fragt, woher ich gerade komme und wo ich hinmöchte. Dass ich nur bei einer Freundin war und nach Hause zu meiner Tochter fahre, will er nicht glauben. „Du siehst nicht aus, als hättest du ein Kind!“ Ich frage belustigt, wie man denn aussehe, wenn man ein Kind habe. Er mustert mich und sagt dann: „Na, irgendwie alt, oder?“ Ich muss lachen.
Er erzählt, dass die beiden gerade aus dem Jugendgefängnis entlassen worden sind. Ich frage, warum sie da waren. Er zögert einen Moment. Dann antwortet er: „Oooch ... na ja, ’nen Mercedes geschrottet.“ Ich frage neugierig: „Was heißt denn geschrottet?“ Er holt sein Handy raus, öffnet ein Video, auf dem die beiden grölend über den Ku’damm rasen, und sagt: „War gut. Bisso ein Spast vor uns gebremst hat.“ Ich frage: „Und jetzt?“ Er spuckt aus. „Jetzt erst mal klarkommen.“
Nach einer kurzen Pause fragt er: „Meinst du, die BSR nimmt mich trotz Knast?“ Ich zucke mit den Achseln. „Warum nicht?“ Er lächelt zufrieden. „Ich hab gehört, da kriegt man voll viel.“ Und dann: „Gibt mir ein Autoverkäufer ’nen Wagen, wenn ich ’nen Job habe?“ Ich kann mir vorstellen, dass der Autoschaden den beiden einen Eintrag in die Schufa gebracht hat, und frage sie danach. Sie sehen mich groß an. „Was ist Schufa?“ Ich erkläre es ihnen. Sie gucken betreten. Der neben mir sagt: „Alter, dann wir sind wir ja gefickt. Wie kommen wir denn jetzt an einen Mercedes?“ Eva-Lena Lörzer
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