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Archiv-Artikel

„Gewinner sind Staat und Umwelt“

INTERVIEW NICK REIMER

taz: Herr Claassen, es gibt Leute, die behaupten, die Bilder aus New Orleans seien der Beginn der Klimakatastrophe. Haben diese Leute Recht?

Utz Claassen: Die Flut bei uns im Sommer, „Katrina“ jetzt in den USA – die Erderwärmung führt zu einer Häufung der Wetterextreme. Niemand, der sich ernsthaft mit dem Klimawandel befasst, wird den Zusammenhang bezweifeln.

Fragt sich: Wohin führt das?

Es gibt durchaus akzeptierte Szenarien, nach denen sich die globale Temperatur bis zum Jahr 2100 um 5 Grad erwärmt. Extremszenarien – falls die Menschheit nicht stärker in Klimaschutz investiert – gehen von bis zu 10 Grad mehr im Jahr 2100 aus. Das würde plus 2 Grad im Jahr 2025 bedeuten. In 20 Jahren würde das Grönland-Eis zu schmelzen, der Meeresspiegel deutlich zu steigen beginnen. In 35 Jahren könnte das Amazonasbecken austrocknen, in 95 Jahren Europa ein nordafrikanisches Klima haben. Dazu käme dann auch die Gefahr, dass zehntausend Milliarden Tonnen arktisch gebundenen Methanhydrats destabilisiert werden könnten. Das würde die Erde weiter anheizen.

Der blanke Horror!

Ich will keine Horrorszenarien malen. Fakt ist aber: Gelingt es uns nicht, das Klima in Balance zu halten, sind Themen, die wir heute als dringend ansehen, bald nur noch zweitrangig.

Viele bezweifeln solche Szenarien. Schließlich hat sich die Temperatur in den letzten 100 Jahren global auch nur um 0,6 Grad erwärmt.

So kurios das klingt: Uns hat die Luftverschmutzung geholfen. Es gibt nämlich einen entgegengesetzten Effekt: das so genannte Global Dimming. Eine hohe Partikelkonzentration in der Luft brachte eine gewisse Verdunklung mit sich, die temperaturreduzierend wirkte. Die 0,6 Grad sind ein Netto aus dem temperaturreduzierenden und dem erderwärmenden Effekt. Erfreulicherweise bekämpft die Menschheit momentan sehr erfolgreich die Luftverschmutzung. Allerdings bedeutet das: weniger Luftverschmutzung gleich weniger Dimming-Effekt. Die Erderwärmung wird sich deshalb deutlich beschleunigen, wenn wir nicht erheblich gegensteuern.

Was muss also getan werden?

Der Chefberater des britischen Premierministers, Sir David King, hat es auf den Punkt gebracht: Klimaschutz ist das größte Problem und die größte Aufgabe, die wir haben – noch vor der Bekämpfung des Terrorismus.

Wie könnte man diese Aufgabe lösen?

Erdöl, Kohle, Gas – es kann gar keine Zweifel daran geben, dass wir die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schnell – und zwar sehr schnell – reduzieren müssen. Das ist nicht nur unter ökologischen, sondern auch unter ökonomischen Aspekten wichtig. Fossile Brennstoffe sind knappe und sich verknappende Güter. Steuern wir nicht rechzeitig gegen, drohen unvorhersehbare Preisentwicklungen.

Die rot-grüne Bundesregierung hat die von Ihnen geforderte Energiewende eingeleitet. Wählen Sie rot-grün?

Wichtig ist, dass Klimaschutz ganz oben auf der politischen Agenda steht, und ich bin froh, dass alle wichtigen Parteien das Thema im Wahlkampf stark verankert haben. Es ist gut und richtig, dass Deutschland eine Vorreiterrolle übernommen hat. Genauso wichtig aber ist der Hinweis, dass man beim Klimaschutz nur mit einer global abgestimmten Energie- und Umweltpolitik gewinnen kann.

Steigende Strompreise, steigende Gewinne der Konzerne – Sie mussten sich zuletzt Abzockmentalität vorwerfen lassen.

Objektiv zu Unrecht. Die EnBW hat im ersten Halbjahr 2005 ihren Konzernüberschuss um 147 Prozent erhöht, beide Kernwettbewerber unter 10 Prozent. Für unsere Zuwächse können also nicht die Preissteigerungen maßgeblich gewesen sein. Die Ergebnisverbesserung der EnBW von 2003 bis Mitte 2005 ist nach unseren Analysen deutlich weniger als 10 Prozent durch den Strompreis der Endkunden bedingt.

Trotzdem entsteht bei Ihnen wie bei ihren Konkurrenten Eon und RWE der Eindruck einer gewissen Parallelität zwischen Preis und Profit.

Unsere Nettoerlöse pro Kilowattstunde sind heute real niedriger als vor Beginn der Strommarktliberalisierung. Die staatlich verursachten Abgaben und Lasten haben sich hingegen deutlich erhöht: Gewinner der Liberalisierung sind also der Staat und die Umwelt. Nicht zu vergessen die Zahnärzte, die in Windräder investiert haben.

Die CDU will die Wirtschaft mit sinkenden Strompreisen ankurbeln. Was könnte die Union überhaupt zur Preissenkung tun?

Der Strompreis ist das Ergebnis von Marktmechanismen – und nicht von Verhandlungen zwischen Wirtschaft und Politik. Ein großer Teil der Preisentwicklung ist global geprägt: Die Rohstoffe werden einfach teurer. Zudem sind etwa 40 Prozent der privaten Stromrechnung Netzkosten, 40 Prozent staatlich verursachte Lasten, der Rest Kosten für Erzeugung und Vertrieb. Wer den Strompreis senken will, muss also erstens die staatlichen Abgaben und Lasten senken. Zweitens muss er mehr Wettbewerb in den Netzen organisieren, was ja auch durch das neue Energiewirtschaftsgesetz initiiert werden soll.

Und drittens die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern?

Es ist eine Frage des Anstands, dass man sich an das hält, was man verhandelt, vereinbart und unterzeichnet hat – nämlich den Atomausstieg. Es ist aber auch eine Frage des Anstands, dass man die Folgen dieser Absprachen aufzeigen darf. Der Atomausstieg bringt zusätzliche Emissionen und zusätzliche Kosten.

Angesichts des von Ihnen beschriebenen Klimaszenarios – müsste die CDU Strom nicht teurer statt billiger machen?

Klimaschutz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Ein stärker auf regenerative Quellen ausgerichteter Energiemix ebenfalls nicht. In Jahrzehnten statt in Quartalen gedacht: Energie wird zwangsläufig teurer. 4 Milliarden Menschen wollen erst noch mit Energie versorgt werden. Der Energiehunger in Ländern wie China, Indien, Indonesien und Brasilien ist riesig.

Kohlendioxid-Aktien, die so genannten Zertifikate, sind eine Form, externe Klimawandelkosten stärker im Strompreis zu verankern. EnBW klagt dagegen. Warum?

Wir haben sehr früh gesagt, dass wir den Emissionshandel als Idee fantastisch finden. Die deutsche Umsetzung, der nationale Allokationsplan, hat sich allerdings nach unserem Empfinden zu einem Instrument der Investitionslenkung – nicht des Klimaschutzes – entwickelt. Dadurch entsteht der EnBW laut externem Gutachten ein deutlicher Wettbewerbsnachteil. Ein Wettbewerber, der etwa viel Braunkohle verstromt, bekommt vom Staat sehr viele Zertifikate zugeteilt. Reduziert der Wettbewerber seine Emissionen durch neue Anlagen, kann er die überschüssigen Zertifikate Gewinn bringend verkaufen. Wir wurden dagegen quasi bestraft: Weil wir mit Kernkraft oder Wasser viel emissionsfreie Energie erzeugen, haben wir diese Möglichkeit nicht so.

EnBW erzeugt 60 Prozent seines Stroms in Atomkraftwerken. Wie sieht für Sie die Zukunft der Atomkraft aus?

Nochmals: Wir stehen zu dem, was wir national vereinbart haben. Ich respektiere jeden Kernkraftbefürworter, aber auch jeden Kernkraftgegner, weil ich grundsätzlich Verständnis auch für Ängste haben muss. Global wird es allerdings nicht ohne Kernkraft gehen: Das Klimaproblem ist aus heutiger Sicht nur mit Kernkraft beherrschbar. Allein China braucht etwa 2.000 neue Kraftwerke mit je 500 Megawatt, um unseren Pro-Kopf-Verbrauch an Strom zu erreichen – bei konstanter Bevölkerung. Die Vorstellung, dass wir in absehbarer Zukunft den Energiehunger der Welt regenerativ stillen können, ist illusorisch. Es muss daran gearbeitet werden. Aber wie weit wir in Jahrzehnten oder Jahrhunderten kommen, weiß keiner.

Immerhin sitzen Sie am Schalthebel. Warum gründet EnBW nicht eine Tochter, die Offshore-Windparks baut?

Weil der Bodensee zu tief und zu klein ist. Und andere „Küsten“ gibt es in unserem Versorgungsgebiet nicht .

Ihre Konkurrenten sind da umweltbewusster. RWE baut zum Beispiel vor der Küste Schottlands einen Windpark.

Der EnBW-Vorstand und der EnBW-Aufsichtsrat haben gerade den Ausbau des Wasserkraftwerks in Rheinfelden beschlossen. Das ist das größte Projekt für regenerative Stromerzeugung in Deutschland. Es wird so viel Strom wie 350 große Windkraftanlagen erzeugen. Daneben werden wir bei Biomasse und Biothermie alles tun, was ökonomisch vertretbar ist. In unserer Branche ist die Nähe von Erzeugung und Verbrauch sehr wichtig. Es geht eben nicht, Strom über tausende von Kilometern zu transportieren. Man kann sich in Großbritannien engagieren, wenn man dort eine Tochter hat.

Offenbar kann Ihr Unternehmen nur sehr begrenzt zur Rettung der Welt beitragen.

Das stimmt nicht. Für die Zukunft ist die Frage des Speichermediums für Strom ganz spannend. Die Sahara ist geradezu prädestiniert für die Sonnenenergie. Nur: Dort gibt es wenig Bedarf. Wenn es gelingen würde, das über Speichermedien zu lösen, wären wir viele Schritte weiter. Wir jedenfalls sitzen in den Startlöchern. Auch das CO2-freie Kohlekraftwerk ist ein wichtiges Thema: Absehbar werden Steinkohle und Gas die wichtigen Energieträger bleiben. Entsprechend wichtig ist es, Technologien mit möglichst wenig Emissionen zu entwickeln.

Klingt, als schlügen zwei Herzen in Ihrer Brust: Einerseits versuchen Sie, möglichst viel Strom zu verkaufen, andererseits warnen Sie jedoch vor dem Klimawandel. Welches Herz schlägt stärker?

Ich trage Verantwortung für unser Unternehmen, seine Belegschaft, seine Aktionäre. Ich freue mich deshalb über jede Kilowattstunde, die ich verkaufe. Genauso freue ich mich aber auch über jede Kilowattstunde, die ich nicht verkauft habe, weil sinnlose Energieverschwendung vermieden wurde. Was nützen schließlich die besten Gewinne der nächsten Jahre, wenn wir nicht auch die Welt lebenswert machen?