: In Stein gemeißelt
Ronny Trocker entwirft in seinem Spielfilmdebüt „Die Einsiedler“ ein psychologisches Setting auf einem Südtiroler Gebirgshof. Der Film verhandelt die unwirtlichen Lebensrealitäten dort
Von Dennis Vetter
Marianne (Ingrid Burkhard) stammt aus einer Bergbauerntradition. Sie hat anscheinend ihr ganzes Leben auf Höfen verbracht. Das zeigt sich gleich zu Beginn des Spielfilms „Die Einsiedler“, der um jene Marianne, Mutter einstmals dreier Kinder, entworfen ist. Wie sie da mit einem Katzenbaby umgeht, lässt kaum Zweifel daran, dass sie die Härten des Lebens als Bergbäuerin kennt.
Ingrid Burkhard verkörpert diese Marianne als wortkarge Frau. Stoisch und hart wie die steinigen Berglandschaften. Ihr Gesicht zeigt tiefe Täler, in ihren Augen glaubt man eine Abgeklärtheit zu erkennen, ohne die ein Überleben in der harten Natur der Südtiroler Alpen ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Ursprünglich hatte Marianne drei Kinder. Nach einem Lawinenunfall lebt nur noch ein Sohn: Albert. Und Albert (Andreas Lust) soll sich hüten vor den Gefahren des Berglebens. Er hat gefälligst auf die Mutter zu hören.
Es geht bald um zwei Welten, die miteinander unmittelbar zusammenhängen. Marianne hat Albert vor drei Jahren ins Tal geschickt, wo er seither im Steinbruch arbeitet. Er soll dort mit teuren Maschinen das Fundament des Berges abtragen, auf dem der Hof seiner Eltern liegt. Um Marmor zu gewinnen, ein Luxusgut.
Beim Chef kommt der Bergbauer gut an, weil er treu ist und fleißig. Aber mit den Kollegen – kauzige Typen, die auf harter Kerl machen – ist es nicht ganz einfach. Besonders Gruber erfährt das als Opfer permanenter Hänseleien am eigenen Leib. Erst scheinen die beiden Außenseiter Freunde zu werden, plötzlich wechselt Albert die Seiten. Gruber driftet immer weiter ab. Er wird verbittert und gehässig. Was soll der Albert in einer solchen Welt?
Die Frage drängt sich auf, wer dieser Albert eigentlich ist. Der feinsinnige Andreas Lust (zuletzt großartig in „Casting“) spielt ihn als einen eigenbrötlerischen Kerl, der ein Kind geblieben zu sein scheint. Albert schläft manchmal heimlich in der Scheune des Hofs. Er weiß nicht, mit Leuten im Tal umzugehen. Was hat er wohl für eine Kindheit erlebt, dort oben in den Bergen? Kann er mit seinem Elternhaus brechen, auf das Wort der dominanten Mutter hören und fort von zu Hause glücklich werden? Aber es gibt Hoffnung: Albert ist in eine Gastarbeiterin verliebt. Aber wagt er es, ihr ins Ausland und in ein neues Leben zu folgen?
Die Situation des Films entwirft die Möglichkeit der Reise weg vom Ursprung in ein ungewisses Leben, anhand eines Mannes Ende dreißig, der beim besten Willen kein Aufbrecher ist. Regisseur Ronny Trocker hingegen machte den Schritt: Er selbst wuchs in Südtirol auf, mit einer Mutter, die auf dem Hof groß wurde. Mit Anfang zwanzig ging er nach Berlin und wurde Sounddesigner (was vielleicht die präzise Klangwelt seines Films erklärt), reiste für eine Filmausbildung weiter nach Argentinien und dann nach Frankreich, um die Kunstschule Le Fresnoy zu besuchen. Es entstanden Kurzfilme und dokumentarische Arbeiten an der Schwelle zum Experimentellen. Räume spielen in Trockers filmischen Arbeiten eine große Rolle – etwa in „Grenzland“, wo sich der Regisseur mit der Gegenwart und Geschichte Südtirols beschäftigt.
Die Bergbauernhöfe kennt Trocker von Kindestagen an durch regelmäßige Verwandtschaftsbesuche aus erster Hand. So ein Hof, der hat im Kinderblick stets etwas Bedrohliches. Die Drastik einer Rindergeburt. Das Schlachten. Das Brüllen der Tiere in der Nacht, wenn es stürmt. Im Film versetzen die Schreie der Rinder sogar die abgeklärte Marianne in Panik.
Der Hof scheint für Trocker ein Verhandlungsraum unwirtlicher Lebensrealitäten zu sein, er wird zu einem psychologischen Setting vergangener Generationen. Im Film zeigt Trocker den Hof mithilfe seines Kameramanns Clemens Hufnagl immer wieder in Detailaufnahmen. Da erblickt man Wände, wie man sie selten zu sehen bekommt. Die Muster an den alten Mauern zeichnen Karten einer verschwundenen Welt. Und auch die Menschen verschwinden immer wieder, in Steinlandschaften und in den Winkeln des Stalls. Die Räume haben Charakter.
Und bald dringt die Vergangenheit immer weiter in die Realität des entlegenen Berghofs vor, kreist die resignierte Marianne ein. Überall Kruzifixe, die eine ganz reale Todesdrohung symbolisieren und immer stärker unheilvoll überzeichnet werden. Marianne will schließlich alleine erfrieren. Sie weiß, dass die lebensgefährliche Härte des Berghofes keine Zukunft möglich macht.
Die Kinder sind tot. Die Lawine rollt im Film auf die Kamera zu, mitten auf den Blick. Ebenso wie die Trümmerwolke, die am Fuß des Bergs durch den Steinbruch jagt und sich tosend Luft verschafft. Man merkt: Da will etwas raus aus diesem Film.
„Die Einsiedler“. Regie: Ronny Trocker. Mit Ingrid Burkhard, Andreas Lust u. a. Deutschland/Österreich 2016, 108 Min.
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