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„Es gibt hervorragende Alternativen“

Ein neues Hamburger Projekt will Studienaussteigern und -zweiflern Perspektiven eröffnen: Wie „Shift“ funktioniert, und für wen, erklärt Annegret Witt-Barthel

Raus aus der Sackgasse: Wenn es mit dem Studium nicht weitergeht, kann das Hamburger Projekt „Shift“ helfenAbb.: Archiv

taz: Frau Witt-Barthel, was ist „Shift“?

Annegret Witt-Barthel: Shift, Hamburgs Programm für Studienaussteiger hat die Stadt Hamburg in Kooperation mit den sechs staatlichen Hochschulen, der Handels- und der Handwerkskammer Hamburg, der Agentur für Arbeit und dem Unternehmensverband Nord aufgelegt. Ziel ist, junge Leute, die ihr Studium nicht mehr fortsetzen wollen, über Berufsbildung als Alternative zu beraten und sie in eine passende Berufsausbildung zu vermitteln.

Sie vermitteln also Lehrstellen?

Nein, nicht direkt. Über unsere Homepage www.shift-hamburg.de vermitteln wir in ein wachsendes Netzwerk von inzwischen rund 30 Beratungs- und Vermittlungsstellen. Darunter sind auch solche, die in Ausbildung vermitteln.

Warum so ein Angebot?

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für drei Jahre finanziert mit dem Ziel, Studienaussteiger in Berufsausbildung zu bringen. Hintergrund ist, dass es auf der einen Seite rund 30 Prozent Studienabbrecher gibt, wir aber auf der anderen Seite einen ungeheuren Nachwuchsmangel haben an Fach- und Führungskräften in der Wirtschaft. Da wird bei Studienabbrechern ein hohes Potenzial gesehen. Die sollen durch das Projekt aufmerksam werden auf die vielfältigen Möglichkeiten, die eine Ausbildung bietet.

Ist man dafür nicht irgendwann zu alt?

Nein. Eine Altersgrenze gibt es nicht. In jedem Alter kann man eine Ausbildung machen. Durch das G8, also das Abitur nach Klasse 12, haben wir auch recht junge Studierende, die mit 17 schon anfangen – und dann feststellen: Das ist es nicht. Shift richtet sich aber auch an Leute, die zum Beispiel im dritten Anlauf eine Prüfung endgültig nicht bestanden haben und daher ihr Studium nicht fortsetzen können. Wir überlegen auch, inwiefern Studienleistungen zeitlich und inhaltlich in einer Ausbildung anerkannt werden können. Das ist individuell sehr unterschiedlich und komplex, da wir über 10.000 Studiengänge und über 320 anerkannte Ausbildungsberufe haben.

Wie gut läuft das Projekt?

Wir haben dieses Jahr mit allen Partnern eine Kooperationsvereinbarung über eine verbindliche Zusammenarbeit bei der Beratung und Vermittlung abgeschlossen und im Juli die zentrale Webseite gestartet. Wir bemerken, dass sie verstärkt frequentiert wird und auch die dort eingestellten Fragebögen genutzt werden. Beratungsstellen melden uns, dass sich vermehrt Studierende bei Ihnen melden, die am Studium zweifeln oder aussteigen und eine Ausbildung aufnehmen wollen.

Müsste man nicht etwas gegen Studien­abbruch tun, statt noch dazu zu motivieren?

Foto: Stefanie Thiele
Annegret Witt- Barthel

62, Journalistin und Politologin, leitet das Projekt „Studienaussteiger/innen in Berufsbildung“.

Genau diese Frage haben wir uns auch gestellt. Deshalb haben wir ja als zweite Zielgruppe die „Studienzweifler“ mit aufgenommen, die gute Chancen haben, ihr Studium doch noch erfolgreich abzuschließen. Für sie gibt es eine gesonderte Ansprache und gute Beratungsangebote in den Hochschulen.

Sie werben mit dem Slogan „Ich geh ­shiften“ ...

Das ist ein Wortspiel, zusammengesetzt aus dem englischen Wort „shift“ – wechseln, verschieben – und „stiften gehen“. Wir haben auf unseren Plakaten Slogans wie „Plan haben. Shift baby!“ oder „Shift happens!“. Es geht uns auch darum zu vermitteln: Wer sein Studium abbricht, ist nicht verloren: Es gibt hervorragende Alternativen. Wenn sich Studierende dafür entscheiden, ist das völlig in Ordnung und für viele eine sehr reife Entscheidung.

Interview Kaija Kutter

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