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Lässige erste Begegnung Am Bremer Theater amGoetheplatz kommtKafkas„Amerika“ als Hörspiel-Konzert-Theater auf die Bühne. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird baldeines der unbegrenzten Enttäuschungen

Aus Bremen Jens Fischer

Vor gerade mal zwei Jahren luden Regisseur Alexander Riemenschneider, einige Schauspieler und die siebenköpfige Kafka-Band aus Tschechien zur Live-Präsentation ihres Konzept­albums ein. Sie wollten gemeinsam die Gedankenstimmungen in Franz Kafkas unvollendetem Roman „Das Schloss“ (1922) erkunden. Das Ineinanderblenden von Spiel- und Musikszenen funktionierte hervorragend für ein Publikum, das eine lässige Erstbegegnung mit dem Stoff sucht. Die Produktion wurde ein Publikumshit.

Mach es noch einmal, Alexander, hieß es dann wohl im Bremer Theater am Goetheplatz. Dort laden Riemenschneider, einige Schauspieler und die Kafka-Band zur Live-Präsentation ihrer neuen Kompositionen, mit dem Gedankenstimmungen in Kafkas unvollendetem Roman „Der Verschollene“ (1911–1914), erkundet werden sollen, der von Max Brod als „Amerika“ veröffentlicht wurde. Erneut wird ein Hörspiel-Konzert-Theater geboten. Wieder ein Hit?

Auf alle Fälle ein Gegenentwurf zu den zuletzt gesichteten „Amerika“-Exzessen in den Theatern im Norden. In Bremen hatte sich Hans Kresnik vor zehn Jahren mit antikapitalistischem Furor auf den Stoff gestürzt und ihn im Bremer Güterbahnhof mit maximal plakativem Bilderreigen für seinen Amerika-Hass missbraucht. Martin Laberenz ignorierte 2016 in Oldenburg die Vorlage und nutzte Figurenkonstellationen für bewusst schamlose Entblößungen, was als „Gesten radikalen Lebens“ verkauft wurde.

Dieses Jahr nahm Claudia Bauer den Text in Hannover als Ausgangspunkt für eine konsumkotzende Albtraumreise – lärmend oberflächlich, übertourig geschmacklos, dummstolz großmäulig, halt so wie heute vielen das Trump-Amerika erscheint.

Friedliches Griesegrau

Im Theater am Goetheplatz ist nun der Bühnenraum geradezu befriedend in schmutziges Griesegrau gekleidet und Prosa in überprononcierter Rezitationshaltung zu hören. Die Musiker hocken wie im Tonstudio hinter ihren Instrumenten, die Darsteller hinter den Mikrofonen. Karl Roßmann liegt vor ihnen als überlebensgroße Gliederpuppe. Mit rundem, unschuldig ausdruckslosem Kindergesicht. Also ein Projektionsort für alles und nichts. Dabei hat der 16-Jährige schon Charakterfurchendes erlebt. Folgenreich vom Dienstmädchen verführt, zwangen ihn die Eltern, nach Amerika auszuwandern.

Die Regie gestaltet nicht naheliegende Interpretationen – etwa das Leiden des jungen Roßmanns als Coming-of-Age-Drama. Oder die Fluchtgeschichte als Migranten-Parabel. „Freie Luft“, die spürt Roßmann allerdings ganz deutlich. Atmet durch. Auf geht’s zum Roadmovie im Stil des Theaters: dem Stationendrama.

Riemenschneider reiht wichtige Begegnungen des Protagonisten aneinander. Zu erleben ist, wie der Held stets scheitert, in der neuen Welt anzukommen – in einem System also, das er nicht versteht. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird bald eines der unbegrenzten Enttäuschungen. Der amerikanische Traum funktioniert einfach nicht. Obwohl Roßmann ganz dolle an das kapitalistische Heilsversprechen glaubt, durch Fleiß und Aufmerksamkeit vom Handlanger zum handelsüblich gemachten Mann aufzusteigen – und ganz brav jedes Scheitern als persönliches Versagen verbucht.

Er merkt gar nicht, dass Machthierarchien undurchlässig sind und sein Engagement nur ausgenutzt wird. Von Arbeitgebern, die ihn sklavenhalterisch den Dreck vom Fußboden lecken lassen. Von Leidensgenossen, die ihm die letzten Dollar stibitzen. Von Frauen, die ihn als Sexobjekt benutzen. Das Prager Wohlstandskind rutscht in die US-Gosse. Er wird vom ominösen Naturtheater von Oklahoma aufgelesen und geht endgültig verschollen.

Als Häufchen Elend drapiert

So wie die Roßmann-Puppe final als Häufchen Elend drapiert wird, ist wohl eher der Abtritt in den Tod als der Aufbruch zu neuen Möglichkeiten des irdischen Daseins zu feiern.

Bei jeder Station des sozialen Niedergangs verliert Roßmann etwas von seiner Menschlichkeit, von seiner Moral, von seinem Mut – geht sich selbst verloren. Ein Schauspieler könnte die Entpersonalisierung fein zeichnen. Puppenspieler Jarnoth amputiert seiner Figur peu à peu Körperglieder. Auch werden sie mal durch Staubsaugerrohre ersetzt: der Mensch als Putzmaschine.

Wie es anders geht, weniger äußerlich, zeigt Lisa Guth, die empathietrunken mit tränenglitzernden Augen als Sekretärin Therese vom Sterben der Mutter erzählt. Weitere Soli der Kolleg*innen folgen. Und die Kafka-Band verfeinert post-rockend entspannt dargebotene Americana-Klischees mit elek­tronischen Klang-Zuspielungen. Etwas für Lambchop-Fans. Lustiges Soundblubbern kommt aus den Boxen, als vom Lebensglück fabuliert wird. Wenn Roßmann als Liftboy anheuert, tuckert der Rhythmus Kraftwerk-maschinell, bei der Entlassung des Protagonisten sackt das harmonische Musikkonstrukt zusammen und der Beat wird schleppend, bei der Erstbegegnung mit New York trieb er noch an, in Straßenlärm gehüllt.

Illustrativ funktioniert das szenische Konzert also prima. Aber der narrative, ästhetische und diskursive Kitt für die Abfolge von Rock- und Schauspielnummern, eine klare Perspektive auf die Vorlage fehlt. Sodass die Leere hinter allem, das kafkaeske Unbehagen an der Welt, kaum zu ahnen ist. Ein Königreich für einen Regisseur.

Nächste Aufführungen von „Amerika“ nach Franz Kafkas Roman-Fragment von „Der Verschollene“: heute, 19.30 Uhr, 15. 10., 18 Uhr und 10. 11., 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz, Bremen

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