: „Es sind andere Mauern entstanden“
Zum Tag der Deutschen Einheit spricht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über ein zerrissenes Land. Er findet deutliche Worte – bleibt letztlich aber lieber im Allgemeinen
Von Konrad Litschko, Berlin
Es ist sein Moment, muss es sein. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag ans Pult in der Rheingoldhalle in Mainz tritt, wird eine große Rede erwartet. Es ist Steinmeiers erste Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit. Im Bundestag sitzen nun erstmals Rechtspopulisten in Fraktionsstärke, im Wahlkampf brachen Aggression und Verachtung über die Politiker herein, vor allem im Osten. Es ist der Moment, in dem ordnende Worte des Bundespräsidenten erwartet werden. Und Steinmeier liefert sie, zumindest einige.
„Es sind andere Mauern entstanden“, sagt der 61-Jährige. Nicht die einst aus Beton und Stacheldraht zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern „Mauern der Unversöhnlichkeit“, aus „Enttäuschung und Wut“. Mauern, durch die Argumente nicht mehr hindurchkämen. „Nicht alle, die sich abwenden, sind gleich Feinde der Demokratie. Aber sie alle fehlen der Demokratie.“
„Große und kleine Risse“ durchzögen Deutschland, so Steinmeier. Zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Jung und Alt. Dies habe die jüngste Bundestagswahl noch mal offenbart. Es dürfe deshalb kein „Abhaken und ‚weiter so‘ “ geben.
Auch im Bundestag werde der Ton rauer werden, erwartet Steinmeier. Er nennt die AfD nicht beim Namen, appelliert aber an die neuen Abgeordneten, die teils auch in der Rheingoldhalle sitzen: „Sie können zeigen, dass Demokraten die besseren Lösungen haben als die, die Demokratie beschimpfen“.
Und Steinmeier verweist auf Unverhandelbares: die Verantwortung für die deutsche Geschichte, für zwei Weltkriege und den Holocaust, „die Absage an jedes völkische Denken“. „Die Verantwortung vor unserer Geschichte kennt keine Schlussstriche“, hält Steinmeier fest. Erst recht nicht im Bundestag. Es sind Verweise an eine AfD, die ein Ende des deutschen „Schuldkults“ fordert. Und es sind diese Stellen, an denen der Bundespräsident den größten Applaus bekommt.
Steinmeier zeigt erstmals Profil beim großen Streitthema Flüchtlinge. „Die Not von Menschen darf uns niemals gleichgültig sein.“ Man müsse allerdings auch unterscheiden, wer politisch Verfolgter sei und wer auf der Flucht vor Armut. Dies könne etwa gelingen, indem Deutschland legale Zuwanderung ermögliche, so Steinmeier. Es ist ein Appell für ein deutsches Zuwanderungsgesetz, das mit einer möglichen Jamaika-Koalition wohl kommen wird.
Steinmeiers Fazit: im Gespräch bleiben, mehr dem anderen zuhören, gerade den Ostdeutschen. „Ostdeutsche haben nach der Wiedervereinigung Brüche erlebt, wie sie unsere Generation im Westen nie kannte.“ Das müsse gewürdigt werden. Auch dürfe eine Sehnsucht nach Heimat – eine, die auch von Einwanderern bereichert werde – „nicht den Nationalisten überlassen“ werden. Überhaupt dürfe Deutschland „nie wieder“ einen Rückweg in den Nationalismus“ finden. Steinmeier gibt sich optimistisch: Viel mehr als die „Meckerer“ prägten die überall aktiven Ehrenamtlichen das Land.
Frank-Walter Steinmeier
Bisher blieb Steinmeier, seit sieben Monaten im Amt, eher blass. Er bereiste das Land, warb für die Demokratie, hielt Reden. Aber keine davon blieb haften. Nun findet Steinmeier die richtigen Worte – auch wenn er weiter lieber im Allgemeinen bleibt, als konkrete Akteure zu benennen, siehe AfD. Aber es ist ein Anfang.
Die gesellschaftlichen Risse jedenfalls überlagern den Feiertag. Rund eine halbe Million Menschen feiern das offizielle Fest in Mainz. Auch Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz und Gastgeberin der Einheitsfeierlichkeiten, fordert eine neue Debattenkultur: Es brauche einen „konstruktiven Streit“, offen, pragmatisch. Zu oft träten aktuelle Debatten auf der Stelle, prallten die „immer gleichen Positionen“ aufeinander.
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, fordert derweil neue Strukturfördermittel für Ostdeutschland nach dem Ende des Solidarpakts 2019. Die Angleichung zwischen Ost und West dürfe nicht noch mal drei Jahrzehnte dauern, sagte Schwesig der Rheinischen Post. Deshalb brauche es auch in Zukunft eine Förderung für strukturschwache Regionen, in Ost wie in West.
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