: Plakative Stadtgeschichte
Zum 200. Geburtstag des Alexanderplatzes haben Studenten der Humboldt-Uni eine ungewöhnliche Ausstellung entworfen. Ihr Zustandekommen ist mindestens genauso interessant wie die grafische Umsetzung im Stil der 20er
Das Bezeichnendste an diesem Jubiläum ist, dass man es beinahe vergessen hätte: 200 Jahre alt wird der Alexanderplatz am 5. November 1805. Nach der Durchreise des russischen Zaren Alexander ließ Preußens König Wilhelm III. den Vieh- und Wollmarkt nach dem Verbündeten im Kampf gegen Napoleon benennen. Eines der zahlreichen Bündnisse zwischen Berlin und Russland, die ja bekanntlich bis in die Gegenwart reichen.
Aber das ist nicht der Grund, warum Berlin seinen Alex-Geburtstag beinahe vergessen hätte. „Viel eher“, meint die Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau (Grüne), „tut sich die Stadt schwer mit den Zeugnissen der Moderne.“ Was wohl heißen mag: Hätte der Pariser Platz eine runde Zahl auf dem Buckel, zählte die ganze Stadt zu den Gratulanten. Aber der Alex, die Dauerbaustelle im Osten?
Es ist dem Platzmanager Heiko Wichert und der Initiative von Alexander Schug von der Humboldt-Universität zu verdanken, dass die Geschichte des Alexanderplatzes doch noch zu ihrem Recht gekommen ist. Seit heute stehen 20 Plakatvitrinen neben der Straßenbahnhaltestelle und informieren die Passanten über Alexanders Reise durch Berlin, die vielen Faceliftings am Platz, das soziale Elend im „Berliner Osten“ und die Revolutionen von 1848 und 1918 sowie die Demonstration vom 4. November 1989. Allen gemeinsam ist den Ereignissen die grafische Umsetzung: Werbeplakate im Design der 20er-Jahre, die ganz gut zum Zitat von Alfred Döblin am Haus der Elektroindustrie gegenüber passen.
Ebenso spannend wie die plakative Kunst des Büros „Dorland“ ist allerdings auch das „Making of“ der Ausstellung. Keine professionellen Ausstellungsmacher waren es, die sich um die Geschichte des Ortes gekümmert haben, sondern fünf Geschichtsstudenten der HU. Nachdem Heiko Wichert Alexander Schug vom Thema überzeugt hatte, lud der Historiker seine Studenten ein zu einer Übung in „angewandter Geschichte“. In nur sechs Monaten sollten sie die Geschichte des Ortes recherchieren, Kontakt zu möglichen Sponsoren aufnehmen, die nötigen Genehmigungen einholen.
Beate Stoffers, Sprecherin der Wall AG, erinnert sich, wie die Studenten zu ihr kamen: „Ich wusste, was das für ein Aufwand sein würde“, sagt sie, „aber die Idee war gut.“ Also stellte Wall 20 seiner mobilen Ausstellungsvitrinen zur Verfügung. Skeptisch war am Anfang auch Dieter Zeih, der Geschäftsführer der Galeria Kaufhof. „Es war klar, dass es am Alex mehrere Baustellen geben würde“, sagt er. „Aber uns war bewusst, dass die Ausstellung den Platz auch aufwerten würde.“
Es sind Erfahrungen wie diese, die für Alexander Schug zum Studium der Geschichte gehören. „Die Akquise der Sponsorengelder war von Anfang an Teil des Projekts, weil ohne Sponsoren Geschichte ausstellen nicht mehr möglich ist.“ Zumindest nicht am Alexanderplatz, meint einer der Studenten, Robert Liebscher. „Wir haben schon gemerkt, dass der Alexanderplatz nicht der Ort ist, auf den Berlin besonders stolz ist. Aber es ist eben ein Platz der Leute.“
Völlig gelungen findet deshalb auch Baustadträtin Dubrau das Projekt, Baustelle hin, Baustelle her. Aber ein bisschen ärgert sie sich doch darüber, dass ihr der Senat erst vor kurzem mitgeteilt hat, dass die Bauarbeiten für die neue Platzgestaltung über die WM 2006 hinausgehen. „Aber so ist das am Alex“, seufzte sie, „der war zu allen Zeiten eine Baustelle.“
Draußen, am Platz, kann man es sehen: Kaum war der Platz nach dem russischen Zaren benannt, begann sein Umbau, aus dem dann in den 20er-Jahren ein „Weltstadtplatz“ werden sollte. Nach dem Krieg wurde der Alex zum Zentrum der DDR und ihres Städtebaus, nach der Wende sollte er zum Berliner Manhattan werden. Sollte – auch das gehört zu den Träumen: dass sie gelegentlich platzen. UWE RADA
Die Ausstellung ist bis zum 2. November zu sehen